Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1254
Privatleben und Freizeitverhalten der Arbeitnehmer sind tabu und gehen den Arbeitgeber im Grundsatz nichts an. Das BAG hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, ein ordentliches Leben zu führen und sich auf diesem Wege seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Gesundheits- und genesungsförderndes Verhalten kann dagegen auch in der Freizeit vom Arbeitnehmer gefordert werden.
Rz. 1255
Verhaltens- oder Unterlassungsverpflichtungen spielen aber dann eine Rolle, wenn sich privates Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und dort zu Störungen führt, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im Unternehmensbereich. Auswirkungen der arbeitsvertraglichen Pflichten auf den Privatbereich sind umso eher hinzunehmen, je näher sie der eigentlichen Leistungspflicht des Arbeitnehmers sind, z.B. bei beruflich bedingten Reisen, bei denen die Freizeit nicht zu Hause verbracht werden kann oder bei dienstlichen Vorschriften über das äußere Erscheinungsbild. Umgekehrt kann ein bestimmtes Freizeitverhalten umso weniger verlangt werden, je geringer der sachliche Bezug zur Arbeitspflicht ausfällt.
Rz. 1256
Die Religionszugehörigkeit ist grund- und spezialgesetzlich geschützt (Art. 3 Abs. 3 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV; § 1 AGG) und kann daher mit wenigen Ausnahmen – Kirchen und Kirchenbetriebe – (siehe oben Rdn 101) nicht Regelungsgegenstand arbeitsvertraglicher Klauseln sein.
Rz. 1257
Schwierig zu bewerten ist die Zugehörigkeit zur Scientology Organisation, da nach der Rechtsprechung des BAG die "Scientology Kirche Hamburg e.V." keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i.S.d. Art. 4, 140 GG, Art. 137 WRV ist (siehe oben Rdn 103). Ob diese Auffassung Bestand hat, oder unter dem gesamteuropäischen Antidiskriminierungsrecht eine andere Beurteilung erfordert, ist bisher ungewiss, wird aber eher verneint, auch wenn Gerichte in Spanien, Frankreich und den USA Scientology als Religionsgemeinschaft anerkannt haben. Das BAG hat die Frage in einer späteren Entscheidung ausdrücklich offengelassen. Bedenken gegen arbeitsvertragliche Regelungen bestehen außerdem im Hinblick auf den Schutz der Weltanschauung in § 1 AGG.
Rz. 1258
Im öffentlichen Dienst war die Rechtsprechung zunächst strenger als im privaten Sektor. Deshalb konnte die dienstliche Verwendbarkeit hier leichter durch außerdienstliche Vorgänge beeinflusst werden. Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dagegen nicht mehr die besondere Pflicht, ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird. Die außer Kraft getretenen Regelungen des § 8 Abs. 1 S. 1 BAT und des § 8 Abs. 8 S. 1 MTArb sahen für Angestellte und Arbeiter vor, dass sie sich auch außerdienstlich so zu verhalten hatten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet werden konnte. Diese Regelungen sind in die seit dem 1.10.2005 geltenden Tarifwerke für den öffentlichen Dienst nicht übernommen worden. § 41 TVöD-BT-V hat den früheren Verhaltensmaßstab aufgegeben. Darüberhinausgehende Anforderungen an die private Lebensführung stellt der TvöD nicht mehr. Die Tarifvertragsparteien – und damit auch die Arbeitgeber – haben für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes außer der Pflicht nach § 41 S. 2 TvöD-BT-V ersichtlich keine weitergehenden Verhaltenspflichten mehr begründen wollen, als diese auch für Beschäftigte in der Privatwirtschaft gelten. Ungerechtfertigt war aber auch bereits vor der Änderung des Tarifrechts die Kündigung einer Grundschullehrerin wegen einer praktizierten sexuellen Neigung, nämlich des Betriebs eines Swingerclubs in der Freizeit ohne Bezug zum dienstlichen Bereich.
Außerdienstliches Verhalten von Beamten ist nur disziplinarwürdig, wenn es zur Beeinträchtigung des berufserforderlichen Vertrauens führen kann. Dies ist insbesondere bei vorsätzlich begangenen Straftaten sowie bei Vorliegen eines Bezuges zwischen dem Pflichtenverstoß und dem Amt des Beamten anzunehmen, z.B. der Besitz kinderpornographischer Bild- und Videodateien.
Rz. 1259
In Tendenzunternehmen (vgl. § 118 BetrVG) gelten Besonderheiten. Arbeitnehmer dürfen sich nicht gegensätzlich zum jeweiligen Tendenzbezug des Arbeitgebers verhalten oder diesen gefährden. Auch Kirchen und Religionsgemeinschaften sind berechtigt, strengere Loyalitätsanforderungen an die Mitarbeiter ihrer Betriebe zu stellen. Erforderlich ist aber stets eine umfassende Abwägung der rechtlich geschützten Interessen der Beteiligten, die im Einzelfall auch zu Lasten des Tendenzunternehmens gehen kann.
Rz. 1260
Außerbetriebliches Verhalten kann nicht durch kollektivrechtliche Instrumente geregelt werden. Nach überwiegender Auffassung ist der private Lebensbereich der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien ...