Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 585
Das in den §§ 387 ff. BGB geregelte Rechtsinstitut der Aufrechnung ist grundsätzlich auch auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
Nach § 389 BGB führt die Aufrechnung dazu, dass sowohl die Hauptforderung, das ist die Forderung, gegenüber der der Aufrechnende die Aufrechnung erklärt, als auch die Gegenforderung, das ist die Forderung des Aufrechnenden gegen den Aufrechnungsempfänger, mit der die Aufrechnung erklärt wird, soweit sich die Forderungen aufrechenbar gegenüberstehen, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie sich erstmalig zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber gestanden haben. Die Aufrechnung hat insoweit Erfüllungswirkung.
Rz. 586
Nicht um eine Aufrechnung handelt es sich bei Vorschuss- oder Abschlagszahlungen. Sowohl die Vorschusszahlung, die im Vorgriff auf einen noch nicht entstandenen oder noch nicht fälligen Vergütungsanspruch geleistet wird, als auch die Abschlagszahlung, die eine Teilzahlung auf einen bereits fälligen Vergütungsanspruch darstellt, bewirken unmittelbar die Erfüllung des Vergütungsanspruches, so dass für eine Aufrechnungslage kein Raum ist. Ebenfalls nicht um eine Aufrechnung geht es bei der sog. Vergütungseinbehaltung, bei der der Arbeitgeber aufgrund besonderer vertraglicher Vereinbarung oder sonstiger Rechtsgründe berechtigt ist, einen Teil der Vergütung einzubehalten und anderweitig zu verwenden. Auch die Anrechnung anderweitigen Einkommens auf den Vergütungsanspruch, zu der der Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher Vorschriften, z.B. § 615 S. 2 BGB (Anrechnung anderweitig erzielten Verdienstes beim Arbeitgeberannahmeverzug), § 326 Abs. 2 BGB (Anrechnung bei verschuldeter Unmöglichkeit der Arbeitsleistung), § 74c HGB (Anrechnung anderweitigen Verdienstes auf eine Karenzentschädigung) oder §§ 616 Abs. 1 S. 2, 617 Abs. 1 S. 3 BGB (Anrechnung von Sozialleistungen auf Entgeltfortzahlungsansprüche bei Arbeitsverhinderung), berechtigt oder sogar verpflichtet sein kann, stellt keine Aufrechnung dar, sondern bewirkt von Gesetzes wegen eine Anspruchskürzung. Schließlich bildet auch die Realisierung der gesetzlichen Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer und des Arbeitnehmeranteils an den Sozialversicherungsbeiträgen keinen Fall der Aufrechnung. Vielmehr erfüllt der Arbeitgeber mit der Abführung der Lohnsteuer und des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (einschließlich der Arbeitnehmeranteile) eine ihm obliegende öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Die Abführung der Lohnsteuer und des Arbeitnehmeranteils zu den Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber begründet in Höhe der abgeführten Beträge einen besonderen Erfüllungseinwand, den der Arbeitgeber der Vergütungsforderung des Arbeitnehmers entgegenhalten kann, ohne dass es einer Aufrechnung bedarf. Da der Arbeitsgerichtsbarkeit die Zuständigkeit für die Überprüfung der Berechtigung und zutreffende Berechnung der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern fehlt, kann der Arbeitnehmer aus seiner Sicht durch den Arbeitgeber zu Unrecht oder überhöht abgeführte Beiträge und Lohnsteuern nicht mit einer arbeitsgerichtlichen Vergütungsklage geltend machen, sondern ist auf die sozial- bzw. steuerrechtlichen Rechtsbehelfe verwiesen, sofern nicht der Fehler – ausnahmsweise – für den Arbeitgeber eindeutig erkennbar war. Führt der Arbeitgeber allerdings einen zu geringen Lohnsteuerbetrag an das Finanzamt ab und wird der Arbeitnehmer deshalb vom Finanzamt in Anspruch genommen, kann ihm gegen den Arbeitgeber ein entsprechender Freihalte- bzw. Erstattungsanspruch aus dem nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB begründeten Gesamtschuldverhältnis zustehen. Auf die vorgenannten Rechtsinstitute finden die einschränkenden Bestimmungen für die Zulässigkeit einer Aufrechnung keine Anwendung.
Rz. 587
Damit eine Aufrechnung gemäß § 389 BGB Erfüllungswirkung entfaltet, müssen sowohl personenbezogene als auch gegenstandsbezogene Voraussetzungen erfüllt sein. Außerdem bedarf es einer Aufrechnungserklärung. Die Aufrechnung darf schließlich nicht verboten sein oder gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen.
Rz. 588
Die personenbezogenen Voraussetzungen einer Aufrechnung ergeben sich aus dem Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen. Danach muss grundsätzlich eine wechselseitige Personenidentität im Hinblick auf die Haupt- und die Gegenforderung zwischen Gläubiger und Schuldner in Bezug auf den Aufrechnenden und den Aufrechnungsempfänger bestehen. Der Aufrechnende muss daher zugleich Schuldner der Hauptforderung und Gläubiger der Gegenforderung sein. Umgekehrt muss der Aufrechnungsempfänger Gläubiger der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung sein. Die Gegenseitigkeit ist zwar im Verhältnis des Vergütungsanspruches des Arbeitnehmers mit einem Erstattungsanspruch des Arbeitgebers wegen fehlerhaft berechneter und daher nachträglich vom Finanzamt eingeforderter Lohnsteuer, nicht aber im Verhältnis ...