Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1375
Nicht nur persönliche Gründe, wie beispielsweise der Wunsch nach Freistellung für die Pflege eines Angehörigen, einer verlängerten Betreuungszeit für Kinder über die im Bundeselterngeld- und ElternzeitG geregelten Zeiten hinaus, eine fehlende Betreuungsmöglichkeit für Kinder, z.B. bei mehrmonatiger Schließung der Kitas, die Wahrnehmung von Ehrenämtern, insbesondere politischen Funktionen, ein geplanter längerer Auslandsaufenthalt oder eine vom Arbeitnehmer gewünschte zeitintensive Fortbildung, sondern auch betriebliche Gründe (z.B. Werksschließungen bei Betriebsferien) können auf Arbeitnehmer- und/oder Arbeitgeberseite den Wunsch zum Abschluss einer Vereinbarung über die Gewährung von Sonderurlaub auslösen.
Rz. 1376
Sonderurlaub ist die Vereinbarung einer Freistellung von der Arbeitsverpflichtung über die gesetzlich geregelten Fälle des Erholungsurlaubes hinaus. Denkbar ist zum einen der bezahlte Sonderurlaub mit Vergütungsfortzahlung, der in der Regel nur bei einem Bedürfnis des Arbeitgebers nach Freistellung, z.B. bei beabsichtigten Betriebsschließungen zwischen mehreren Feiertagen oder während der Ferienzeit/produktionsschwachen Zeit oder bei einer Vereinbarung zum Ausgleich ungewöhnlicher Mehrarbeit, in Betracht kommen dürfte. Äußert hingegen der Arbeitnehmer den Wunsch auf Befreiung von der Arbeitsverpflichtung aus persönlichen Gründen, z.B. für die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten oder einen längeren Auslandsaufenthalt, ist zum anderen der Abschluss einer Regelung über unbezahlten Sonderurlaub ein geeignetes Instrument, um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen.
Rz. 1377
Unbezahlter Sonderurlaub ist die Arbeitsbefreiung des Arbeitnehmers, ohne dass während der Freistellungszeit ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers besteht. Einige Fälle des unbezahlten Sonderurlaubes sind gesetzlich geregelt, z.B. in § 1 ArbPlSchG oder Art. 48 GG. Daneben gibt es vereinzelt auch tarifvertragliche Regelungen, z.B. § 28 TVöD-AT. Die Norm gewährt den im öffentlichen Dienst des Bundes/der Kommunen beschäftigten Arbeitnehmern einen Anspruch auf unbezahlten Urlaub, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und die betrieblichen oder dienstlichen Verhältnisse es gestatten. Auch Betriebsvereinbarungen können Regelungen über die Gewährung von Sonderurlaub enthalten. Der wohl häufigste Fall ist die Gewährung von Sonderurlaub aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung.
Klar hervorgehen sollten aus der Regelung folgende Punkte:
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für welchen konkreten Zeitraum wird Sonderurlaub gewährt; |
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welchen Zweck verfolgt der Sonderurlaub; |
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wird der Sonderurlaub mit oder ohne Vergütungsfortzahlung gewährt; |
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inwieweit wirkt sich der Sonderurlaub auf sonstige Ansprüche des Arbeitnehmers, z.B. Gratifikationen, betriebliche Altersversorgung aus; |
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ob eine Verlängerungsoption oder ein Rückkehrrecht für eine der Vertragsparteien eingeräumt werden soll; |
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ob der vertragliche Mehrurlaub für die Dauer des Sonderurlaubes auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch gekürzt werden soll. |
Streitig ist, ob Arbeitnehmer über die gesetzlichen, tarifvertraglichen oder die in einer Betriebsvereinbarung geregelten Fälle hinaus einen Anspruch auf Gewährung unbezahlten Sonderurlaubes geltend machen können. Die Begründung eines solchen Anspruches aus der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht dürfte die Ausnahme sein. Die Rechtsprechung und arbeitsrechtliche Literatur ist in diesen Fällen eher zurückhaltend. Denkbar ist die Begründung eines Anspruches auf Gewährung unbezahlten Sonderurlaubes aus betrieblicher Übung oder Gleichbehandlung, wenn es betriebsüblich ist, dass auf Wunsch eines Arbeitnehmers Sonderurlaub gewährt wird.
Rz. 1378
Unter bezahltem Sonderurlaub versteht man alle Arten von Arbeitsbefreiung, bei denen der Arbeitgeber seiner Vergütungspflicht weiterhin nachkommt, der Arbeitnehmer aber von seiner Arbeitsverpflichtung befreit ist. Neben einer Vielzahl gesetzlich geregelter Fälle (z.B. § 616 BGB) sind die häufigsten Fälle der Gewährung bezahlten Sonderurlaubes in einer Betriebsvereinbarung, z.B. für die Dauer der Werksferien/vorübergehenden Werksschließung, geregelt. Denkbar ist aber der Abschluss einer individualvertraglichen Vereinbarung über die Gewährung von Sonderurlaub mit Vergütungsfortzahlung. Da während eines solchen Sonderurlaubes nur die Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers, nicht aber die Vergütungsverpflichtung des Arbeitgebers ruht, wird die Dauer der Betriebszugehörigkeitszeit hierdurch nicht unterbrochen.
Rz. 1379
Einen Sonderfall hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Regelung in § 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz geschaffen. Im Fall einer durch den Bundestag festgestellten epidemischen Lage nationaler Tragweite (Pandemie) hat der Arbeitnehmer abhängig von den Umständen des Einzelfalls gegen den Arbeitgeber einen aus der Fürsorgepflicht hergeleiteten – unbezahlten – Freistellungsanspruch, wenn er aufgrund einer durch die Pandemie bedingten Beeinträchtigung der Betreuungseinr...