Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1598
Sprache ist das wohl wichtigste Instrument der zwischenmenschlichen Kommunikation – auch im Arbeitsverhältnis. Mit der Verwendung dieses Kommunikationsinstrumentes ist naturgemäß die Gefahr gegenseitigen Fehl- oder Missverstehens verbunden, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedliche Sprachen sprechen und/oder verwenden. Denkbar ist dies nicht nur bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, sondern auch in den Fällen, in denen der Repräsentant des Arbeitgebers nicht der deutschen Sprache mächtig ist, wie dies bei Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne durchaus der Fall sein kann.
Rechtliche und tatsächliche Probleme können in diesem Zusammenhang in den unterschiedlichsten Gestaltungen auftreten.
aa) Sprachprobleme bei Abschluss des Arbeitsvertrags
Rz. 1599
Als Erstes stellt sich das Sprachproblem im Zusammenhang mit Verhandlungen über und mit dem Abschluss von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. In Deutschland werden Arbeitsvertragsverhandlungen auch mit ausländischen Arbeitnehmern typischerweise in deutscher Sprache geführt und Arbeitsverträge in deutscher Sprache geschlossen. Denkbar sind aber auch Fallkonstellationen, in denen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Ausland anwirbt, die Verhandlungen dort in ausländischer Sprache führt und der Arbeitsvertrag anschließend in deutscher Sprache abgefasst wird. In späteren Auseinandersetzungen über den Inhalt des geschlossenen Arbeitsvertrages, z.B. über die Wirksamkeit einer einzelvertraglichen Ausschlussklausel, kann es zum Streit darüber kommen, ob bestehende Sprachprobleme der Wirksamkeit der in deutscher Sprache vereinbarten Klausel entgegenstehen. Zeigen sich bei Vertragsverhandlungen sprachbedingte Kommunikationsschwierigkeiten, ist zur Vermeidung von Missverständnissen und daraus folgenden späteren Streitigkeiten dringend zu empfehlen, zu den Verhandlungen eine geeignete Übersetzungsperson beizuziehen. Alternativ kommt in Betracht, die Vertragsverhandlungen unter paralleler Verwendung einer Übersetzung des Vertragstextes in der Muttersprache des ausländischen Arbeitnehmers zu führen. In diesem Fall muss allerdings klargestellt werden, welche der unterschiedlichen Vertragsfassungen im Zweifelsfall Vorrang genießt. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Aushändigung einer Übersetzung des Arbeitsvertrags an den Arbeitnehmer vor dessen Unterzeichnung besteht allerdings nicht.
Hat der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag oder eine spätere Ergänzungs- oder Änderungsvereinbarung, ggf. auch eine Ausgleichsquittung, die jeweils in deutscher Sprache abgefasst waren, ungelesen unterzeichnet oder erfolgt die Unterzeichnung, obwohl der Arbeitnehmer den Text des Arbeitsvertrages oder der sonstigen Vereinbarung zwar gelesen, aber aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht oder nicht zutreffend verstanden hat, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Vertragsschlusses. Der Zugang einer schriftlichen Willenserklärung, also auch eines Arbeitsvertragsangebots bzw. eines Änderungs- oder Ergänzungsangebots zu einem bereits abgeschlossenen Arbeitsvertrag, erfolgt nämlich mit dem Eintritt der Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers, also des Arbeitnehmers, so dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, unabhängig davon, ob der Empfänger den Inhalt tatsächlich verstanden hat. Die entsprechende deutschsprachige Vertragserklärung geht dem ausländischen Arbeitnehmer daher mit Vorlage zur Unterzeichnung nach § 130 Abs. 1 BGB zu. Auf das tatsächliche Verständnis des Erklärungsempfängers kommt es nicht an, weil die Möglichkeit der Kenntnisnahme nach den gewöhnlichen Verhältnissen für den erforderlichen Zugang der Willenserklärung ausreichend ist. Individuell fehlende Sprachkenntnisse stellen einen allein in der Person des Erklärungsempfängers liegenden und daher unbeachtlichen Umstand dar. Entsprechendes gilt auch für einen der deutschen Sprache mächtigen Arbeitnehmer, der in einem Arbeitsvertrag verwendete deutschsprachige Fachbegriffe nicht kennt und den Arbeitsvertrag dennoch unterzeichnet, wenn dieser die Bedeutung der entsprechenden Fachbegriffe missversteht.
Die Unterzeichnung des Vertrages durch den Erklärungsempfänger ist alsdann als Annahme des gesamten Vertragsinhaltes auszulegen. Der Vertrag kommt grundsätzlich mit dem in ihm in deutscher Sprache ausgewiesenen Inhalt zustande. Maßgeblich ist insoweit der Verständnishorizont eines verobjektivierten Erklärungsempfängers, also eines durchschnittlichen Arbeitgebers. Dieser darf die – ohne Zwang erfolgende – Unterzeichnung des Vertrags regelmäßig als Annahmeerklärung verstehen. Der Arbeitgeber, der mit einem ausländischen Arbeitnehmer Vertragsverhandlungen führt und einen Arbeitsvertrag schließt, kann sich nämlich nach der insoweit maßgeblichen Verkehrserwartung grundsätzlich darauf verlassen, dass sein Verhandlungspartner mit der Unterzeichnung seine Zustimmung zu dem Vertragsinhalt und dessen vertraglich bindender Wirkung erklären will. Dies ist selbst dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber pos...