Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 30
Unproblematisch erkennbar und daher leicht zu vermeiden ist eine direkte Anknüpfung an die Merkmale des AGG, während die Verwendung von Umschreibungen ("Berufseinsteiger", "Muttersprachler" etc.) besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ein mittelbarer Bezug auf das Alter ergibt sich z.B. aus der Suche nach Studenten/Rentnern für Nebentätigkeiten oder aus dem Ausschluss von Bewerbern mit dem Verweis auf feste Altershöchstgrenzen. Das Kriterium der Muttersprache oder der Staatsangehörigkeit indiziert eher die Herkunft als die sprachlichen Fähigkeiten und sollte nach der Gesetzesbegründung daher vermieden werden, zumindest sofern eine substantiierte Begründung des Erfordernisses der Muttersprache nicht, und die Anforderung "hervorragender" oder „sehr guter Sprachkenntnisse ebenfalls möglich ist.
Rz. 31
Neutrale, aber mittelbar benachteiligende Kriterien sind nur zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (§ 3 Abs. 2 AGG). "Gute Schreibmaschinenkenntnisse" für eine Schreibkraft stellen daher nach der Rechtsprechung keine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung dar. Körperliche Anforderungen für Polizisten oder Belastungstests für Piloten dürften ebenfalls unproblematisch sein.
Rz. 32
Die Problematik der mittelbaren Diskriminierung soll am Beispiel des Kriteriums des Alters erläutert werden. Stellenanzeigen dürfen nach dem AGG weder ausdrückliche Altersangaben noch "versteckte" Hinweise auf das gewünschte bzw. unerwünschte Alter enthalten. Ein dem Anschein nach neutrales Kriterium wie z.B. des "Berufsanfängers" führt etwa dann zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, wenn es geeignet ist, einen älteren Bewerber wegen seines Alters gegenüber einem jüngeren Mitbewerber zu benachteiligen (§ 3 Abs. 2 AGG). Anders ist dies lediglich dann zu bewerten, wenn das Unternehmen in der Stellenausschreibung als "ein junges und dynamisches Unternehmen" beschrieben wird, da dies lediglich eine unternehmensbezogene Information darstellt, die sich nicht auf die Belegschaft oder die erwünschten Bewerber bezieht. Die in § 3 Abs. 2 AGG angelegte Gegenüberstellung verlangt, so die Gesetzesbegründung, die Bildung von Vergleichsgruppen, die die von dem benachteiligenden Merkmal berührten Personen einbeziehen müssen. Die besondere Betroffenheit einer solchen Vergleichsgruppe drückt sich darin aus, dass diese Personen zahlenmäßig stärker durch die Verwendung des an sich neutralen Kriteriums beeinträchtigt sind als Personen, die dieses Merkmal nicht aufweisen.
Rz. 33
In Bezug auf die Eigenschaft "Berufsanfänger" könnte man als Vergleichsgruppen für die Bewerbung in einer Rechtsanwaltskanzlei/Rechtsabteilung eine Gruppe der unter 35-jährigen und eine Gruppe der über 35-jährigen Bewerber bilden. Eine mittelbare Benachteiligung wäre zu bejahen, wenn Personen aus der älteren Gruppe im Bewerbungsverfahren – bei einer hypothetischen Betrachtungsweise – wesentlich seltener berücksichtigt würden als Bewerber aus der jüngeren Gruppe. Allerdings müssen greifbare Anhaltspunkte für die merkmalsbedingte Benachteiligung beigebracht werden, ggf. durch ein Sachverständigengutachten. Erst wenn feststeht, ab welchem Alter in welcher Branche nicht mehr von einem Berufsanfänger gesprochen werden kann, wäre ein Indiz für eine mittelbare Diskriminierung von einem älteren Bewerber schlüssig vorgetragen.