Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 990
Für die konkrete Formulierung einer Bezugnahmeklausel gilt insbesondere bei nicht tarifgebundenen Parteien im Ausgangspunkt die Vertragsfreiheit; bei tarifgebundenen Arbeitgebern ist jedoch die zwingende Wirkung der Tarifnormen (§ 4 Abs. 1 TVG) zu beachten, gegenüber der sich die Bezugnahmeabrede nur im Fall einer ausdrücklichen Gestattung oder einem günstigeren Inhalt des in Bezug genommenen Tarifvertrages (§ 4 Abs. 3 TVG) durchsetzen kann. Die Vertragsfreiheit ist allerdings eingeschränkt, wenn der Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel – ggf. auch bei nur einmal beabsichtigter Verwendung (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) – vorformuliert hat, da diese der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht (§§ 305–310 BGB) unterliegt. Dies kann nur dadurch verhindert werden, indem der Inhalt der Klausel individuell ausgehandelt wird, was aber vom Arbeitgeber als Verwender zu beweisen ist.
Rz. 991
Vom Arbeitgeber vorformulierte Bezugnahmeklauseln werden nur dann Bestandteil des Arbeitsvertrages, wenn deren Inhalt aus Sicht eines objektiven Betrachters nicht überraschend ist (§ 305c Abs. 1 BGB), wie bei einer Bezugnahme auf den für den Betrieb fachlich und räumlich einschlägigen Tarifvertrag. Etwas anderes kommt hingegen in Betracht, wenn dies nicht der Fall ist (Verweisung auf anderes Tarifgebiet bei konzernabhängigen Tochterunternehmen oder Betriebsstätten außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs, fachlich nicht einschlägiger Tarifvertrag). Vertragsinhalt wird die Klausel in derartigen Fällen jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hierauf gesondert hingewiesen hat und sich dies (aus Beweisgründen) bestätigen lässt.
Rz. 992
Vor allem muss die vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel auch einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307–309 BGB standhalten. Bei dieser ist zwischen der konkreten Bezugnahmeklausel auf der einen und der jeweils in Bezug genommenen Tarifbestimmung auf der anderen Seite zu unterscheiden. Für sich genommen ist die Bezugnahmeklausel zwar nicht nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB von der AGB-Kontrolle befreit, sie bewirkt aber in der Regel keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB; zu beachten sind jedoch die allgemeinen Anforderungen einer Transparenzkontrolle (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Im Hinblick hierauf verstößt die Bezugnahme auf einen mehrgliedrigen Tarifvertrag nach Ansicht des BAG gegen das Transparenzgebot, wenn eine Kollisionsregel fehlt, die die Bestimmbarkeit des für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Regelwerks sicherstellt. Eine Inhaltskontrolle der in Bezug genommenen Tarifbestimmungen entfällt nach allgemeiner Ansicht stets, wenn ein Tarifvertrag insgesamt in Bezug genommen wird, der bei unterstellter Tarifgebundenheit kraft Tarifrechts auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden würde. In diesem Fall strahlt die Herausnahme des Tarifvertrages aus der AGB-Kontrolle (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB) auch auf den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag aus. Eine vollständige Inhaltskontrolle erfolgt jedoch nach herrschender Meinung, wenn ein fachlich oder räumlich fremder Tarifvertrag oder lediglich einzelne Tarifbestimmungen bzw. Abschnitte eines Tarifvertrages in Bezug genommen werden. Abweichendes gilt nach vorzugswürdiger Ansicht lediglich im Anwendungsbereich des tarifdispositiven Gesetzesrechts.
Rz. 993
Hält die Bezugnahmeklausel in einem vorformulierten Arbeitsvertrag einer AGB-rechtlichen Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle stand, so sind bei deren Auslegung nicht die Vorstellungen des Arbeitgebers maßgeblich, sondern vielmehr ist – auch schon nach allgemeinem Vertragsrecht – auf die Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers abzustellen (= Arbeitnehmer). Bei vorformulierten Klauseln ist zudem zu beachten, dass diese objektiv auszulegen sind und verbleibende Zweifel zu Lasten des Verwenders (= Arbeitgebers) gehen (§ 305c Abs. 2 BGB), sofern nach einer objektiven Auslegung wegen mindestens zwei rechtlich vertretbarer Auslegungen überhaupt Zweifel verblieben sind. Die Kurskorrektur in der Rechtsprechung des BAG zum Inhalt einer als kleine Bezugnahme formulierten Gleichstellungsabrede, die der 4. Senat in seinem Urt. v. 14.12.2005 ankündigte und mit Urt. v. 18.4.2007 vollzog, zeigt allerdings, dass der Klauselverwender die Abwesenheit von Zweifeln nicht sicher steuern kann. Ihm obliegt es deshalb, die Bezugnahme auf den Tarifvertrag so zu formulieren, dass bei einem evtl. entscheidenden Gericht keine Zweifel am Inhalt der Klausel verbleiben.
Rz. 994
Angesichts des vorstehend (Rdn 987 ff.) skizzierten Variantenreichtums muss bei der Formulierung einer Bezugnahmeklausel – entgegen häufig zu beobachtender Praxis – größtmögliche Sorgfalt obwalten. Dabei ist in einem ersten Schritt Klarheit darüber zu verschaffen, ob in dem Arbeitsvertrag überhaupt auf einen Tarifvertrag Bezug genommen werden soll, da eine einseitige Lösung von der...