Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 158
Aus der gesetzlichen Definition des Arbeitsvertrags in § 611a BGB lässt sich auch der Arbeitnehmerbegriff ableiten. Dieser entspricht dem bisherigen Verständnis, da der Gesetzgeber mit § 611a BGB keine inhaltliche Änderung beabsichtigte, sondern lediglich die Leitlinien der Rspr. gesetzlich verankern wollte. Wie nach der von Rechtsprechung und h.L. bislang verwendeten Formel ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. § 611a Abs. 1 S. 1 BGB). Damit muss zunächst ein privatrechtlicher Vertrag vorliegen. Beispielsweise bei Beamten, Richtern, Soldaten oder Strafgefangenen scheitert die Annahme eines Arbeitsvertrages bereits an dieser Voraussetzung. Des Weiteren muss der Vertrag die Leistung von Diensten zum Gegenstand haben (zur Abgrenzung vgl. Rdn 153 ff.). Die größten praktischen Schwierigkeiten bereitet das dritte Begriffsmerkmal: die persönliche Abhängigkeit des Dienstleistenden. Wie schon bisher, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen, § 611a Abs. 1 S. 5 BGB. Es ist daher auch nach Einführung des § 611a BGB zu erwarten, dass sich das BAG zur Ausfüllung dieses Merkmals weiterhin eines typologischen Ansatzes bedienen wird.
Rz. 159
Das wichtigste Indiz für das Bestehen persönlicher Abhängigkeit bleibt damit die Weisungsgebundenheit des Dienstleistenden bezüglich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit, § 611a Abs. 1 S. 3 BGB. Insbesondere wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, ist weisungsgebunden, § 611a Abs. 1 S. 4 BGB. Die zeitliche Fixierung der zu erbringenden Dienste spricht stark für ein Arbeitsverhältnis. Gleiches gilt, wenn der Ort der Dienstleistung dem Bestimmungsrecht des Dienstleistenden entzogen ist. Das Bestehen fachlicher Weisungsgebundenheit ist für den Arbeitsvertrag ebenfalls charakteristisch; ihr Fehlen spricht dagegen, insbesondere bei Diensten höherer Art, nicht zwangsläufig gegen die Arbeitnehmereigenschaft. Dementsprechend sieht nunmehr § 611a Abs. 1 S. 5 BGB gerade vor, dass der Grad der persönlichen Abhängigkeit auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit abhängt. Als zusätzliches Indiz stellt das Gesetz auf die Fremdbestimmung ab. Hierunter dürfte insbesondere die bislang vom BAG herangezogene, aber in § 611a BGB nicht erwähnte Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zu subsumieren sein. Ständige Dienstbereitschaft, die Einordnung in Organisations-, Dienst- bzw. Produktionspläne oder die Arbeitskontrolle durch den Dienstherrn deuten auf ein Arbeitsverhältnis hin. Nach der sog. Crowdworker Entscheidung bleibt abzuwarten, welche Bedeutung die Fremdbestimmtheit hat, und auch, ob sie ggf. als eigenständiges und ausreichendes Kriterium neben der Weisungsgebundenheit steht, bleibt abzuwarten.
Rz. 160
Erfüllt der Dienstverpflichtete die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs, ist die Bezeichnung des Vertrages – z.B. als freier Dienstvertrag – für die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses unerheblich. Entscheidend ist in diesem Fall stets die tatsächliche Vertragsdurchführung, nicht die Bezeichnung, wie nunmehr § 611a Abs. 1 S. 6 BGB regelt. Lässt die Durchführung des Vertrages jedoch keine eindeutige Zuordnung zu, ist die Entscheidung der Vertragsparteien für einen bestimmten Vertragstypus im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung zu berücksichtigen.
Zu beachten ist jedoch, dass mit § 611a BGB allein die nationale Rechtsprechung kodifiziert wurde. Für das europäische Arbeitsrecht ist jedoch teilweise ein vom EuGH geprägter Arbeitnehmerbegriff maßgeblich, der mit dem nationalen Begriff nicht durchgängig deckungsgleich ist. Unberührt bleibt auch die sozialversicherungsrechtliche Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt.