Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 176
Die §§ 305 ff. BGB sind auf Arbeitsverträge anwendbar. Dies folgt aus dem Wegfall der ehemals in § 23 Abs. 1 AGBG normierten arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme, die diese Vertragswerke noch ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des AGB-Gesetzes ausnahm. Gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB ist bei der Anwendung auf Arbeitsverträge allerdings den "im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten" angemessen Rechnung zu tragen (siehe dazu Rdn 199 ff.). Dies kann im Einzelfall zu modifizierten Kontrollmaßstäben bei der Inhaltskontrolle führen. Das ist bei der Frage, ob die zu sonstigen zivilrechtlichen Verträgen ergangene Rechtsprechung auf Arbeitsverträge übertragbar ist, im Auge zu behalten. Für sonstige, lediglich im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis abgeschlossene Verträge, gilt diese Einschränkung nicht. Das AGB-Recht findet deshalb z.B. auf Kaufverträge über Werkwagen uneingeschränkte Anwendung. Werden Regelungen allerdings gerade in Hinblick auf das Arbeitsverhältnis vereinbart, z.B. in Darlehensverträgen zur Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen oder Dienstwagenordnungen, sind auch sie Arbeitsverträge i.S.d. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB. Die §§ 305 ff. BGB gelten grundsätzlich auch für Verträge mit arbeitnehmerähnlichen Personen. Einer AGB-Kontrolle unterliegen auch Aufhebungsverträge, doch ist dort der Kontrollumfang umstritten. Kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien unterliegen ebenso einer Überprüfung am Maßstab der §§ 305 ff. BGB.
Rz. 177
Nach Auffassung des BAG kann der Arbeitsvertrag auch dann einer AGB-Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB unterliegen, wenn die Parteien eine anderweitige Rechtswahl getroffen haben, aber ohne die Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden wäre. Die §§ 305 ff. BGB gewähren dem Arbeitnehmer einen Schutz, der ihm durch die von den Parteien getroffene Rechtswahl nicht entzogen werden darf, vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I VO an.
Rz. 178
Keine Anwendung finden die §§ 305 ff. BGB dagegen auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB). Diese Kollektivvereinbarungen unterliegen selbst keiner (unmittelbaren) AGB-Kontrolle. Insoweit besteht die alte Bereichsausnahme fort. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die in einem Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahme auf diese Vereinbarungen die Tür zu einer (mittelbaren) Kontrolle der kollektiven Regelungen am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu öffnen vermag. Pauschale Antworten verbieten sich hier. Eine Lösung dieses Problems hat zwei Überlegungen zu berücksichtigen. Zum einen darf Kontrollfreiheit nur dort herrschen, wo die Richtigkeitsgewähr für den Inhalt der kollektiven Vereinbarung (fort-) besteht. Zum anderen folgt aus der Gleichstellungsanordnung des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB, wonach diese Kollektivvereinbarungen Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleichstehen, dass eine Inhaltskontrolle nur bei Abweichungen bzw. Ergänzungen dieser Regelungen möglich sein soll. Man muss deshalb unterscheiden nach Art und Inhalt der Verweisung (Globalverweisung, Einzelverweisung, Teilverweisung); siehe hierzu Rdn 1413.
Rz. 179
Wird in einem Arbeitsvertrag auf Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen Bezug genommen, unterliegt diese Bezugnahmeklausel selbst der vollen AGB-Kontrolle. Siehe auch hierzu Rdn 952.
Rz. 180
Davon zu unterscheiden ist die noch nicht abschließend geklärte Frage, ob und wann die Regelungen in AGB betriebsvereinbarungsoffen sind, also durch spätere Betriebsvereinbarung von AGB abgewichen werden kann. Nach der Rechtsprechung des 1., 5. und 6. Senats des BAG sollen Regelungen in AGB regelmäßig betriebsvereinbarungsoffen sein, wenn sie einen kollektiven Bezug haben. Der 4. Senat steht der Annahme einer entsprechenden konkludenten Vereinbarung jedoch ablehnend gegenüber, aber konnte dies offen lassen, da er im konkreten Fall zum Ergebnis kam, dass jedenfalls die Parteien eine Betriebsvereinbarungsoffenheit vertraglich ausgeschlossen hatten. Jedenfalls aber soll sich die Rechtsprechung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit nach Auffassung des 4. Senats nicht auf Tarifverträge übertragen lassen.