Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 629
Bezieht sich eine Ausschlussfrist ohne Einschränkung auf "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis", so erfasst sie alle Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (also gesetzliche, tarifliche, vertragliche etc.). Ausschlussfristen müssen nicht auf Ansprüche "aus dem Arbeitsverhältnis" begrenzt werden. Bezieht sich die Klausel auf Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis "in Verbindung stehen", werden alle Ansprüche erfasst, die mit dem Arbeitsverhältnis tatsächlich oder rechtlich zusammenhängen; dabei werden Ansprüche aus selbstständig begründeten Rechtsverhältnissen aber nur erfasst, wenn das Rechtsverhältnis ohne das Arbeitsverhältnis nicht oder nicht zu den vereinbarten Bedingungen zustande gekommen wäre. Andererseits müssen Ausschlussfristen keinesfalls alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfassen. Die Formulierung "vertragliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" interpretiert das BAG dahingehend, dass Ansprüche aus Schadensersatz nicht erfasst sind und zwar gleichgültig, ob sie auf §§ 823 ff. BGB beruhen oder der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten. Sollen nach dem Wortlaut der Ausschlussklausel alle "gegenseitigen Ansprüche" verfallen, werden dadurch nicht nur synallagmatische Ansprüche, sondern ebenso Ansprüche erfasst, die nicht von einer Gegenleistung abhängen. Unproblematisch können Ausschlussklauseln einzelvertragliche und abdingbare gesetzliche Rechte erfassen. Das BAG lässt daneben auch den Verfall unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche zu. Im Schrifttum ist dies umstritten. Gemeint sind Ansprüche aus zwingendem Recht, von denen der Arbeitgeber nicht zulasten des Arbeitnehmers abweichen kann (siehe dagegen Rdn 630 zu unverzichtbaren Ansprüchen). Die Unabdingbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs gem. § 12 EFZG steht seinem Verfall etwa nicht entgegen. Der Grund liegt darin, dass Ausschlussfristen nicht die Entstehung und den Inhalt der Rechte des Arbeitnehmers regeln, sondern lediglich ihren zeitlichen Bestand, mit anderen Worten: Der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht zunächst und dies in voller Höhe; erst in der Folge geht er aufgrund nicht fristgemäßer Geltendmachung wieder unter. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung kann nach Aufgabe der Surrogatstheorie ebenfalls selbst hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs einer Ausschlussfrist unterworfen werden. Für den gesetzlichen Urlaubsanspruch selbst können die Vertragsparteien hingegen nicht von dem gesetzlichen Fristenregime abweichen.
Rz. 630
Auf eine Reihe von Ansprüchen kann ein Arbeitnehmer nicht wirksam verzichten (unverzichtbare Ansprüche). Solche Ansprüche können auch nicht einer Ausschlussklausel unterworfen werden. So darf eine Ausschlussklausel etwa die Haftung wegen Vorsatzes nicht verkürzen. Das folgt aus §§ 276 Abs. 3, 202 Abs. 1 BGB. Das Verbot, einem Schuldner die Haftung wegen Vorsatzes im Voraus zu erlassen, würde leerlaufen, ließe man Ausschlussfristen für Ansprüche aus Vorsatzhaftung zu. Ansprüche eines Arbeitnehmers, die auf einer Betriebsvereinbarung beruhen, können durch eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel ebenfalls nicht zum Erlöschen gebracht werden (§ 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG). Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nach § 4 Abs. 4 S. 3 TVG wirksam nur in einem Tarifvertrag vereinbart werden. Ihr Schutzzweck ist auf kollektivrechtlich begründete Rechte beschränkt. Gelten tarifliche Rechte in einem Arbeitsverhältnis dagegen allein aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme, werden diese Rechte von einer arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel mit umfasst. Unverzichtbar ist auch der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (vgl. § 3 S. 1 MiLoG).
Rz. 631
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob solche unverzichtbaren Ansprüche zur Vermeidung der Unwirksamkeit der Klausel (ausdrücklich) vom Geltungsbereich der Ausschlussklausel ausgenommen werden müssen. Nach bisheriger Ansicht des BAG war eine zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags vereinbarte Ausschlussfrist regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nur die von den Parteien für regelungsbedürftig gehaltenen Fälle erfasst. Hieran hält das BAG – jedenfalls für Neuverträge – inzwischen nicht mehr fest. Welche Folgen diese Rechtsprechungsänderung im Einzelnen hat, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Das BAG kommt hierbei für die einzelnen Ansprüche zu unterschiedlichen Ergebnissen:
Rz. 632
Das BAG hält Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen jedenfalls in Neuverträgen für insgesamt unwirksam, wenn sie Mindestlohnansprüche erfassen. Ohne eine ausdrückliche Regelung seien die Mindestlohnansprüche von der Ausschlussfrist erfasst. Eine vom Arbeitgeber formularvertraglich gestellte Ausschlussfristenregelung, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 1 MiLoG oder § 2 PflegeArbbV erfasst, verstoße gegen § 3 S. 1 MiLoG bzw. §§ 9...