Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 794
Auszugehen ist von der grundsätzlichen Freiheit des Arbeitnehmers, bei der Arbeit die Kleidung der persönlichen Wahl zu tragen. Dieser grundsätzlichen Freiheit des Arbeitnehmers kann aber aufgrund entsprechender vertraglicher Regelung unter Berücksichtigung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht kraft § 241 Abs. 2 BGB eine Schranke gesetzt werden. Voraussetzung ist, dass berechtigte Arbeitgeberinteressen berührt sind und die Anordnung angemessen und zumutbar ist.
Rz. 795
Soll der Arbeitnehmer also im Rahmen des Arbeitsvertrages verpflichtet werden, bestimmte Dienstkleidung zu tragen, so ist eine solche Verpflichtung nur unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zulässig und auch nur dann, wenn ein weniger einschränkendes Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks nicht zur Verfügung steht. Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitgebers, den Betriebsablauf zu organisieren, wozu auch gehört, zu entscheiden, in welcher Art und Weise seine Mitarbeiter den Kunden gegenüber treten sollen und damit auch, ob und wenn ja welche Dienstkleidung der Arbeitnehmer zu tragen hat. Als Ausdruck der grundlegenden Organisationsfreiheit des Arbeitgebers, die keinen inhaltlichen Fremdeingriffen ausgesetzt ist, wiegt eine betriebliche Festlegung in der Interessensabwägung schwer, solange der Arbeitgeber überhaupt ein nachvollziehbares Interesse an einer einheitlichen Kleidung hat. So hat beispielsweise das BAG schon das betriebliche Interesse an einem dem Betriebszweck entsprechenden "gehobenen Erscheinungsbild" ausreichen lassen, die Arbeitnehmer verpflichten zu dürfen, einen "mitternachtsblauen oder schwarzen Anzug oder ein entsprechendes Kostüm, weiße Hemden und schwarze Schuhe zu tragen".
Rz. 796
Die Anordnung zum Tragen der Dienstkleidung ist aber nur dann rechtmäßig, wenn sie die grundsätzliche Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers nur in erforderlicher und angemessener Weise einschränkt, also die besonderen Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigt sind und die arbeitgeberseitige Maßnahme zur Erreichung des gewollten Zwecks erforderlich ist. Hiernach ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es ein milderes Mittel zur Erreichung des gewünschten Zweckes gegeben hätte. Darüber hinaus sind die arbeitnehmerseitigen Interessen zu berücksichtigen. So hat das Bundesarbeitsgericht eine Arbeitnehmerin, die entgegen der Weisung des Arbeitgebers ein islamisches Kopftuch getragen hat, das Tragen dieses Kopftuchs unter Berücksichtigung der religiösen Interessen der Arbeitnehmerin gestattet, nachdem die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (Kaufhausbetreiber) nicht durchgreifend genug waren, um die grundrechtlich geschützten Interessen der Arbeitnehmerin zurück zu drängen. Darüber hinaus kann auch die einzelne Anordnung in ihrer Intensität unverhältnismäßig sein. So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht eine Regelung einer obersten Dienstbehörde, wonach uniformierte Polizeibeamte die Haare maximal in Hemdkragenlänge zu tragen hatten, für unzulässig erklärt, da sie zu intensiv in die private Lebenssphäre des Beamten eingriffe. Wenn dies bereits für Beamte in einem besonderen Dienstverhältnis gilt, so gilt dies erst recht für Arbeitnehmer in einem privatrechtlich begründeten Anstellungsverhältnis. Das arbeitgeberseitige Interesse an einem insgesamt "gepflegten äußeren Erscheinungsbild" hat das Bundesarbeitsgericht allerdings für berechtigt erklärt. Verstößt der Arbeitnehmer gegen eine zulässige Weisung, Dienstkleidung zu tragen, kann dies eine verhaltensbedingte Kündigung begründen.