Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 987
In inhaltlicher Hinsicht kann die Bezugnahme auf Tarifverträge in vielfältigen Varianten eingesetzt werden. Das gilt bereits für den Gegenstand des Bezugsobjekts. Denkbar ist die Verweisung sowohl im Hinblick auf einzelne Tarifverträge (z.B. einen Manteltarifvertrag) als aber auch auf ein Bündel von Tarifverträgen (Tarifwerk). In Betracht kommt zudem auch umgekehrt eine Beschränkung der Bezugnahme auf einzelne Vorschriften oder Abschnitte eines Tarifvertrags (z.B. Bemessung des bei Krankheit und Urlaub fort zu zahlenden Arbeitsentgelts, Kündigungsfristen). Ferner kann sich die Bezugnahme auf abgelaufene Tarifverträge erstrecken, was bedeutsam ist, wenn die Bezugnahmeklausel während des Stadiums der Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) in den Arbeitsvertrag für ein neu begründetes Arbeitsverhältnis aufgenommen werden soll. Durch Bezugnahmeklauseln gelangen allerdings nur solche Tarifnormen zur Anwendung, die auch Inhalt eines Einzelarbeitsvertrags sein können, in der Regel also Normen zu Abschluss, Inhalt und Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für betriebsverfassungsrechtliche Regelungen fehlt den Arbeitsvertragsparteien hingegen die Vereinbarungsbefugnis, sodass diese Normen eines Tarifvertrags auch nicht über eine Bezugnahmeklausel Bestandteil des Arbeitsvertrags werden können. Entsprechendes gilt für Betriebsnormen sowie tarifvertragliche Regelungen zu gemeinsamen Einrichtungen. Bei einer in der Regel inhaltlich weiten Formulierung einer Bezugnahme führt die beschränkte Vereinbarungsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien jedoch nicht zur Nichtigkeit der gesamten Bezugnahmeklausel, sondern lediglich zu deren Teilnichtigkeit (§ 139 BGB), die die Bezugnahme auf den Tarifvertrag im Übrigen unberührt lässt.
Rz. 988
Problematisch ist vor allem die Dynamik der Bezugnahme, die in der neueren Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen thematisiert wird. Diese hat zwei Komponenten: Eine zeitliche und eine inhaltliche. In zeitlicher Hinsicht kann sich die Bezugnahme auf die Tarifverträge in einer bestimmten Fassung beschränken (statische Bezugnahme) oder aber auf deren jeweilige Fassung erstrecken, sodass spätere Änderungen des Tarifvertrages automatisch Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Ist eine derartige Dynamik gewollt, so kommen in inhaltlicher Hinsicht zwei Varianten in Betracht. Erstens die Benennung eines bestimmten fachlich und räumlich konkretisierten Tarifvertrages (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), zweitens eine auch in fachlicher Hinsicht offene Formulierung, die insbesondere spätere Veränderungen im Hinblick auf den für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag nachvollziehen soll (große dynamische Bezugnahme). Die letztgenannte Klausel kann bei nichttarifgebundenen Arbeitgebern bedeutsam sein, wenn in dem Arbeitsvertrag auf Verbandstarifverträge verwiesen wird und später die Anwendung eines Firmentarifvertrages in Frage steht. Entsprechendes gilt bei einer Betriebsveräußerung, wenn der Erwerber an einen anderen als den in Bezug genommenen Tarifvertrag gebunden ist.
Rz. 989
Bei tarifgebundenen Arbeitgebern gilt dies ebenfalls, wobei noch ein etwaiger Tarifwechsel infolge eines veränderten Betriebszwecks sowie der Verbandsaustritt oder -wechsel als Anwendungsfall hinzutritt. Wird die Bezugnahmeklausel von tarifgebundenen Arbeitgebern verwendet, so bezweckt diese aus Sicht des Arbeitgebers in erster Linie eine Gleichstellung der nicht kraft Tarifrechts an den Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer (ohne oder anderweitige Verbandsmitgliedschaft) mit denen, die kraft Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei auf Arbeitnehmerseite an diesen gebunden sind. Für eine derartige Vertragsgestaltung hat sich die Bezeichnung "Gleichstellungsabrede" eingebürgert (näher Rdn 1005 ff.). Das gilt nicht nur, wenn auf das gesamte Tarifwerk Bezug genommen wird, sondern auch, wenn sich die Bezugnahme auf einen einzelnen Tarifvertrag oder einzelne Tarifbestimmungen beschränkt.