Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
aa) Verpflichtung zur Durchführung von Dienstreisen
Rz. 810
Die Verpflichtung zur Durchführung von Dienstreisen kann sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben. Arbeitnehmer sind aber selbst dann zur Durchführung von Dienstreisen verpflichtet, wenn der Arbeitsvertrag dies nicht ausdrücklich vorsieht. Der Arbeitgeber ist berechtigt, im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO die Durchführung einer Dienstreise anzuordnen. Denn angesichts der sich seit Jahren verstärkenden Entwicklungen im Wirtschaftsleben, die erhöhte Flexibilität fordert, ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich jeder Arbeitnehmer verpflichtet, im Rahmen der solchermaßen definierten Üblichkeit Dienstreisen zu unternehmen. Bei Aufnahme in den Arbeitsvertrag handelt sich insoweit um eine Konkretisierung der ohnehin gegebenen Verpflichtungen des Arbeitnehmers und damit nicht um eine unbillige Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 1 BGB.
Rz. 811
Die konkrete Anordnung der Dienstreisen erfolgt durch den Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO. Diese Anordnung muss die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und im Übrigen verhältnismäßig sein (Ausübungsermessen). Etwaige in der Person des Arbeitnehmers liegende entgegenstehende Belange sind also genauso wie besondere Umstände des Einzelfalles, z.B. Betreuungspflichten etc. in die Interessensabwägung einzustellen. Das gilt auch für mögliche Gefährdungen, denen der Arbeitnehmer ausgesetzt ist. So musste in Pandemiezeiten in die Überlegungen eingestellt werden, ob durch die Dienstreise ein erhöhtes Infektionsrisiko eintrat.
bb) Vergütungspflicht
Rz. 812
Ordnet der Arbeitgeber an, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit an einem anderen Ort als dem Üblichen zu verrichten hat, konkretisiert er hiermit gegenüber dem Arbeitnehmer die zu erbringende Arbeitsleistung. Er legt fest, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Aufgabe außerhalb des normalen Arbeitsortes zu erbringen hat. Damit weist er ihn zugleich an, zum Zielort zu reisen und dort zu arbeiten. Schließlich trifft er auch eine zeitliche Bestimmung, indem er den voraussichtlichen Beginn und das voraussichtliche Ende des auswärtigen Dienstgeschäfts und damit zugleich mittelbar die Reisezeiten festlegt. Allein aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ausübt, kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sämtliche Dienstreisezeiten auch vergütungspflichtig sind. Vielmehr ist zu differenzieren:
Rz. 813
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der üblichen Dienstzeit an, eine Reise von seinem Dienstort an einen anderen Ort zu unternehmen und dort ein Dienstgeschäft auszuführen, so ist die Reisezeit Arbeitszeit in dienstvertraglicher Hinsicht und somit vergütungspflichtig. Dabei sind nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, sondern auch die vom Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zum Wohnort mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt vergütungspflichtig.
Rz. 814
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, seinen Dienst einen vollständigen Tag oder mehrere Tage an einem anderen vertraglich vorgesehenen Arbeitsort aus zu verrichten, liegt in der Anweisung, die Arbeit an einem anderen Ort als üblich aufzunehmen, eine Zuweisung einer abweichenden Arbeitsstätte gemäß § 106 GewO. Der Arbeitnehmer hat also den Weg von seiner Wohnung zu diesem auswärtigen Dienstort als Wegezeit zurückzulegen, soweit nicht im Arbeitsvertrag abweichende Regelungen getroffen sind, beispielsweise ein konkreter Arbeitsort festgelegt ist. Es handelt sich nicht um eine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Eine Ausnahme hierzu gilt dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anweist, bereits die Zeiten der Anreise zum Dienstort mit bestimmten Inhalten zu füllen, z.B. also im Zug oder Flugzeug zu arbeiten. In einem solchen Fall liegt wiederum die Anordnung einer Arbeit vor, was die Wegezeiten vergütungspflichtig macht. Anders ist dies allerdings dann, wenn sich die Arbeit auf einen konkreten Betrieb oder Standort konkretisiert hat. Hat der Arbeitnehmer in einem solchen Fall seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen, gehört die Reise zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen. Dann gilt, dass erforderliche Reisezeiten mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen sind, sofern nicht durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung hierfür eingreift. Muss ein Arbeitnehmer, dessen vertraglicher Arbeitsort in Frankfurt ist, also an einem bestimmten Tag morgens um 08:00 Uhr seine Arbeit in Berlin antreten und dort einen Termin für den Arbeitgeber wahrnehmen, so beginnt die vergütungspflichtige Arbeitszeit des Arbeitnehmers beim Verlassen seines Wohnorts auf dem Weg zum Flughafen und endet erst nach Rückkehr.
Dasselbe gilt für Reisen, die wegen einer vorübergeh...