Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 34
Allerdings scheidet eine mittelbare Benachteiligung gem. § 3 Abs. 2 AGG schon tatbestandlich aus, wenn das betreffende Kriterium "durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind". Ist eine Ungleichbehandlung nicht nach § 3 Abs. 2 AGG zu rechtfertigen, kommt mithin auch keine Rechtfertigung nach §§ 8, 10 AGG in Betracht; andererseits ist der Arbeitgeber nicht auf die Rechtfertigungsgründe der §§ 8, 10 AGG beschränkt, weshalb der Tatbestand der mittelbaren Benachteiligung durch einen Rechtfertigungsgrund i.S.d. §§ 8, 10 AGG "erst recht" ausgeschlossen werden kann.
Rz. 35
Als rechtmäßiges Ziel kommen fachlich-berufliche Gründe in Betracht, wie z.B. die spezifische Prägung, die ein juristischer Berufsanfänger in einer Kanzlei erfährt, die erhöhte Aufnahmefähigkeit und Lernbereitschaft, die die Einarbeitung in bestimmte Fachgebiete erleichtern oder eine ausgewogene Alters- und Vergütungsstruktur. Auch können etwa die dem feuerwehrtechnischen Dienst obliegenden Aufgaben der Brandbekämpfung und der Personenrettung ein Einstellungshöchstalter von 30 Jahren rechtfertigen, da die unabdingbaren Anforderungen an die körperliche Fitness in aller Regel direkt mit dem Lebensalter verbunden sind.
Das BVerfG hat in seiner maßgeblichen Entscheidung zu § 611b BGB a.F. als rechtmäßiges Ziel überdies das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers anerkannt. Das BVerfG stellte dem Arbeitgeber frei, bei der Formulierung des Anforderungsprofils entweder auf größere Berufserfahrung abzustellen oder Berufsanfänger zu bevorzugen, die erst durch die Arbeit im jeweiligen Betrieb ihre Prägung erfahren.
Rz. 36
Bringt der Arbeitgeber mit der Ausschreibung einer Stelle für "Berufsanfänger" ein ausgewogenes personelles Organisationskonzept zum Ausdruck, so ist dieses Konzept sachlich gerechtfertigt durch ein rechtmäßiges Ziel und die eingesetzten Mittel sind angemessen und erforderlich i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG. Das Kriterium des "Berufsanfängers" bedarf somit zunächst keiner gesonderten Rechtfertigung, da es den Tatbestand des § 3 Abs. 2 AGG ausschließt. Der Bewerber ist allerdings in einem solchen Fall nicht gehindert, ernstliche Zweifel an der Berechtigung des Organisationskonzeptes vorzubringen, z.B. wenn die Suche nach einem Berufsanfänger nur vorgeschoben ist und es dem Arbeitgeber stattdessen darauf ankommt, einen jungen Arbeitnehmer einzustellen. Das LAG Köln hat entschieden, dass eine Rechtsanwaltskanzlei, die einen Rechtsanwalt mit "null bis zwei Jahren Berufserfahrung" suchte, ältere Bewerber, die für die Stelle objektiv geeignet sind, mittelbar wegen ihres Alters benachteiligt habe. Die Diskriminierung könne nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, die Kanzlei habe das Ziel verfolgt, Personalkosten zu senken bzw. zu begrenzen.