Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
aa) Anwendbares Zivilrecht
Rz. 329
Die Feststellung des geltenden Privatrechts ist im Bereich der grenzüberschreitenden mobilen Arbeit durchaus komplex. Deshalb sollte der Arbeitgeber das mobile Arbeiten im Ausland nur auf die Staaten begrenzen, für die er unter Hinzuziehung rechtlicher Fachexpertise für die Auslandsstaaten, in denen mobile Arbeit gestattet werden soll, vorab die Geltung nationaler Vorschriften des Auslandsstaates, insbesondere auch in Bezug auf das geltende Privatrecht bei Kollision mit zivilrechtlichen Vorschriften des Inlandes, geklärt hat. Nationale Besonderheiten können die Anwendbarkeit einzelner Normen beeinflussen. Die folgenden Grundsätze beschränken sich auf Ausführungen zu den Staaten, die unter den Anwendungsbereich der Rom I-VO (EU mit Ausnahme Dänemarks) fallen.
(1) Grundsatz der freien Rechtswahl, Art. 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO
Rz. 330
Aus Art. 3 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO ergibt sich der Grundsatz der freien Rechtswahl für Individualarbeitsverträge. Bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten sollten die Parteien von der Rechtswahl Gebrauch machen und ausdrücklich im Vertrag festhalten, nach welchem zivilrechtlichen/arbeitsvertragsrechtlichen Regime sich der Arbeitsvertrag richten soll. Das bedeutet allerdings nicht, dass ausschließlich das gewählte Recht Anwendung findet, denn gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm gem. Art. 8 Abs. 2–4 ROM I-VO durch unabdingbare Bestimmungen nationalen Rechts eines anderen Staats gewährt wird. Allein durch die Rechtswahl deutschen Rechts gewinnt der Arbeitgeber also keine Sicherheit, dass nur und ausschließlich das deutsche Arbeitsrecht Anwendung findet.
(2) Keine Abweichung von zwingenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO
Rz. 331
Stets ist zu prüfen gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, ob sich das Arbeitsverhältnis jedenfalls auch nach zwingenden Rechtsvorschriften anderer Staaten zu richten hat, deren Recht gemäß Art. 8 Abs. 2–4 Rom I-VO anzuwenden wäre, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten. Diese Kontrollüberlegung sollte aus Arbeitgebersicht immer angestellt werden. Die Wirkung der Rechtswahl wird durch die zwingenden Schutznormen der objektiv geltenden Rechtsordnung begrenzt, also jener Rechtsordnung, die in Ermangelung einer Rechtswahl gilt.
Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO stellt auf das Prinzip des lex loci laboris, also auf das Recht des gewöhnlichen Beschäftigungsorts, ab. Dieser bezeichnet nach aktuellem Verständnis den Ort, an dem die Arbeitsleistung erbracht wird, nicht also den Serverstandort oder Betrieb, in den der mobil arbeitende Arbeitnehmer eingegliedert ist. Erbringt der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung an unterschiedlichen Standorten, z.B. teilweise aus dem ausländischen Home-Office oder in Form mobiler Arbeit an unterschiedlichen Orten im Ausland und teilweise im inländischen Betrieb, ist der Mittelpunkt der Tätigkeit im Einzelfall zu bestimmen. Ein vorübergehender Wechsel des Arbeitsorts etwa im Rahmen einer "Workation" oder einer vorübergehenden Verlagerung der Tätigkeit in ein im Ausland gelegenes Homeoffice ändern das anzuwendende Recht gemäß Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO nicht. Für die Auslegung des Begriffs "vorübergehend" zieht die herrschende Meinung die in den Erwägungsgründen zu der Rom I-VO festgehaltenen Überlegungen heran. Demnach ist die Erbringung der Arbeitsleistung im Ausland vorübergehend, wenn erwartet wird, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit im Herkunftsstaat wieder aufnimmt. Regelmäßig wird dies der Fall bei kurzen, zweckbefristeten Auslandsaufenthalten von weniger als einem Jahr sein, wie z.B. bei der populären "Workation"-Vereinbarung. In allen darüberhinausgehenden Fällen oder Fällen ohne Beschränkung der Zeitanteile des gestatteten Auslandsaufenthalts mit mobiler Arbeit ist eine ausführliche Prüfung der für die einzelnen Regelungsinhalte (z.B. Kündigungsrecht, Entgeltfortzahlungsregelungen) anzuwendenden zivilrechtlichen Rechtsvorschriften zu empfehlen. Damit die Anwendung deutschen Zivilrechts auf das Arbeitsverhältnis sichergestellt ist, sollte die Gestattung der mobilen Arbeit im Ausland zeitlich befristet sein und auch bezogen auf den gewährten Zeitanteil deutlich erkennen lassen, dass der Auslandsaufenthalt nur vorübergehend ist und der gewöhnliche Beschäftigungsort im Inland bleibt. Ist der gewöhnliche Beschäftigungsort im Einzelfall nicht festzustellen, gilt gemäß Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO das Recht des Staats der Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Will der Arbeitgeber sicherstellen, dass auch bei mobiler Arbeit im Ausland nicht ein anderes als das deutsche Arbeitsrecht gilt, ist darauf zu achten, dass die Einstellung in einer Niederlassung innerhalb der Bunde...