Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 893
Zugangsprobleme stellen sich im Arbeitsrecht in vielfältiger Weise, besonders aber im Zusammenhang mit einer Kündigungserklärung des Arbeitgebers. Als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Kündigung erst mit ihrem Zugang bei dem Erklärungsempfänger wirksam. Auch der Zeitpunkt des Zugangs ist von erheblicher Bedeutung, nicht nur für den Lauf der Kündigungsfrist oder der Klagefrist, sondern bspw. auch für die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB oder den Ablauf der Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG. Damit besteht ein virulentes Interesse insbesondere des Arbeitgebers, den Zeitpunkt des Zugangs möglichst präzise bestimmen und im Kündigungsschutzprozess auch beweisen zu können.
aa) Gesetzliche Regelung des Zugangs von Willenserklärungen
Rz. 894
Der durch die persönliche Übergabe der Kündigungserklärung bewirkte Zugang unter Anwesenden lässt sich durch Zeugenbeweis oder die Einholung einer Empfangsbestätigung des Arbeitnehmers i.d.R. zuverlässig nachweisen. In diesem Fall ist der Zugang bereits mit der Übergabe des Kündigungsschreibens an den Arbeitnehmer bewirkt, unabhängig davon, ob und wann es von diesem tatsächlich gelesen wird. Auch wenn die Mitnahme des Schreibens verweigert und das Schriftstück ungeöffnet zurückgegeben wird, bleibt der Zugang bewirkt. Demgegenüber bereitet der Zugang unter Abwesenden häufig größere Probleme. Zwar kann auch in diesem Fall der Zugang ohne tatsächliche Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von dem Inhalt der übermittelten Erklärung bewirkt werden; die gegenüber einem Abwesenden abgegebene Erklärung geht diesem bereits dann zu, wenn und sobald sie in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Damit bewirkt bspw. der Einwurf in den Briefkasten des Empfängers den Zugang, wobei der Zugangszeitpunkt davon abhängt, wann mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Ein verlässlicher Nachweis des Zugangs lässt sich jedoch häufig nur dadurch erreichen, dass das Schreiben von einem Boten des Arbeitgebers oder einem Kurierdienst persönlich eingeworfen wird; die Versendung mit einfacher Post, aber auch mit postalischem Einschreiben bietet demgegenüber einen nur begrenzt verlässlich verwertbaren Zugangsnachweis. Auch besteht die Gefahr, dass der Erklärungsempfänger den Zugang einer Kündigungserklärung insbesondere dann zu vereiteln sucht, wenn diese bereits erwartet wird. Aus diesem Grund wird bei der Vertragsgestaltung häufig versucht, drohenden Zugangsproblemen mit der vertraglichen Vereinbarung einer Zugangsfiktion zu begegnen. Die gesetzlichen Zugangsbestimmungen, insbesondere die §§ 130, 132 BGB, sind dispositiv, sodass im Wege der vertraglichen Vereinbarung grds. auf das Erfordernis des Zugangs verzichtet oder Zugangserleichterungen vereinbart werden können. In Formularverträgen ist die Vereinbarung einer Zugangsfiktion jedoch nur begrenzt möglich.
bb) Fiktion des Zugangs
Rz. 895
Gem. § 308 Nr. 6 BGB, der auch im Arbeitsrecht uneingeschränkt Anwendung findet, ist eine Bestimmung unwirksam, die vorsieht, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gilt. Erklärungen "von besonderer Bedeutung" sind dabei v.a. solche, die für den Empfänger mit nachteiligen Rechtsfolgen verbunden sind, insbesondere also Widerrufserklärungen, Abmahnungen, Nichtverlängerungsmitteilungen i.S.v. § 15 Abs. 2 TzBfG und Kündigungserklärungen.
Die Vereinbarung einer Zugangsfiktion ist daher zwar für Erklärungen von untergeordneter Bedeutung zulässig, doch besteht insoweit regelmäßig kein gestalterisches Interesse. Eine Regelung, mit der der Zugang einer Kündigungserklärung oder anderer wesentlicher Erklärungen fingiert werden soll, ist demgegenüber in Formularverträgen gem. § 308 Nr. 6 BGB grds. unwirksam. Dies lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass die Zugangsfiktion nicht uneingeschränkt gilt, sondern dem Erklärungsempfänger entsprechend der ersten Variante des vorstehenden Musters die Möglichkeit zur Widerlegung der Fiktion ...