Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
aa) Einzelvertragliche Klauseln
Rz. 958
Bei Gerichtsstandsklauseln ohne Auslandsbezug oder mit Auslandsbezug zu Staaten, die dem Anwendungsbereich der VO (EG) 44/2001 nicht unterfallen, sind die Grenzen der §§ 38 ff. ZPO maßgeblich. Die dortigen Regelungen lassen in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten freilich nur wenig Raum für wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen. So gestattet § 38 ZPO Abs. 1 ZPO Abreden zwischen Kaufleuten oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögen. § 38 Abs. 2 ZPO ermöglicht Gerichtsstandsvereinbarungen, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Weiter möglich sind schriftliche Abreden, die nach Entstehen einer Streitigkeit (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) oder für den Fall getroffen werden, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei (beispielsweise als Wanderarbeitnehmer) nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Geltungsbereich der ZPO verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klagerhebung nicht bekannt ist (§ 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
Die aufgezeigten Grenzen der Gerichtsstandsvereinbarungen im Arbeitsrecht können nicht durch eine vom gesetzlichen Gerichtsstand abweichende Vereinbarung des Erfüllungsorts als Gerichtsstand umgangen werden. § 29 Abs. 2 ZPO eröffnet diese Möglichkeit ebenfalls lediglich Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögen. Seit Einführung des Gerichtsstands des Arbeitsortes gemäß § 48 Abs. 1a ArbGG kommt Erfüllungsortvereinbarungen ohnehin keine prozessuale Bedeutung mehr zu, weil der Arbeitnehmer ungeachtet des Erfüllungsorts der ihm geschuldeten Gegenleistung an dem für seinen Arbeitsort zuständigen Gericht klagen kann (siehe hierzu Rdn 957).
Rz. 959
Folge der engen Grenzen der ZPO ist eine grundsätzliche, zwingende Unzulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitsverträgen. Gleichwohl getroffene Vereinbarungen sind grundsätzlich unwirksam nach § 134 BGB. Soweit eine Klausel ausnahmsweise in den Grenzen des § 38 Abs. 2 und 3 ZPO in Betracht kommt, ist bei Formularverträgen vor allem das Gebot transparenter Vertragsgestaltung zu beachten. Weiter ist auf die Einhaltung des Schriftformerfordernisses nach § 126 Abs. 2 BGB zu achten (zum Ausschluss einzelvertraglicher Gerichtsstandsvereinbarungen bei tarifvertraglicher Prorogation siehe Rdn 962).
bb) Tarifvertragliche Klauseln
Rz. 960
Ungleich größer sind die Möglichkeiten für die Vereinbarung von Gerichtsstandsklauseln in den normativen Teilen von Tarifverträgen. § 48 Abs. 2 ArbGG gestattet es den Tarifvertragsparteien, in bestimmten Fällen die Zuständigkeit eines an sich örtlich unzuständigen Arbeitsgerichts festzulegen. In Betracht kommt dies für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus einem Arbeitsverhältnis und aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses, das sich nach einem Tarifvertrag bestimmt. Weiter besteht diese Möglichkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Verhältnis einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu den Arbeitnehmern oder Arbeitgebern.
Von solchen tarifvertraglichen Vereinbarungen umfasst sind vor allem Kündigungsschutzprozesse.
Rz. 961
Eine tarifvertragliche Prorogation findet freilich nur Anwendung, wenn beide Arbeitsvertragsparteien nach § 3 TVG tarifgebunden sind, der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde (§ 5 TVG) oder eine einzelvertragliche Inbezugnahme erfolgt ist, vgl. § 48 Abs. 2 S. 2 ArbGG. Eine einzelvertragliche Inbezugnahme kommt indessen nur im Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags in Betracht. Der Tarifvertrag müsste also in räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht zur Anwendung gelangen. Zudem muss der gesamte Tarifvertrag in Bezug genommen sein. Nicht möglich ist folglich eine beschränkte Bezugnahme auf die tarifliche Prorogation.
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