Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 184
Die besonderen – positiven – Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 und 3 BGB an die Einbeziehung von AGB finden auf Arbeitsverträge gem. § 310 Abs. 4 S. 2 HS 2 BGB ausdrücklich keine Anwendung. Damit scheidet eine analoge Anwendung dieser Vorschriften ebenfalls aus. Es gelten insoweit die Regeln des allgemeinen Vertragsrechts. Als negative Einbeziehungsvoraussetzung normiert § 305c Abs. 1 BGB ein auch auf Arbeitsverträge anwendbares Verbot überraschender Klauseln. Überraschend ist eine Klausel danach unter zwei Voraussetzungen: Zum einen muss sie objektiv ungewöhnlich, zum anderen subjektiv überraschend sein. Die Ungewöhnlichkeit einer Klausel kann aus ihrem Inhalt folgen, wenn dieser von den typischen Erwartungen der beteiligten Verkehrskreise abweicht. Je belastender eine Vertragsbestimmung ist, umso eher ist das BAG geneigt, sie als ungewöhnlich zu klassifizieren. Die Ungewöhnlichkeit kann ferner aus formellen Aspekten, d.h. dem äußeren Zuschnitt des Vertrages resultieren. Die Rechtsprechung hat dies in Fällen angenommen, in denen die Klausel an "versteckter", d.h. unerwarteter Stelle im Vertrag platziert wurde. Bei der Vertragsgestaltung kann es deshalb anzuraten sein, wichtige, für den Arbeitnehmer nachteilige Vertragsbestimmungen drucktechnisch durch Schriftart, Schriftgröße oder Fettdruck bzw. durch Unterstreichungen oder einen eigenen Paragraphen hervorzuheben. Eine solche optische Hervorhebung ist allerdings verzichtbar, wenn der gesamte Vertragstext ein gleiches fließendes Schriftbild aufweist. Neben der objektiven Ungewöhnlichkeit muss stets ein subjektives Überraschungsmoment beim Arbeitnehmer hinzutreten. Entscheidend ist, ob er die Klausel kannte oder mit ihr zumindest rechnen musste. Das BAG verneint dies, wenn der Bestimmung ein "Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt" innewohnt. Ein ausdrücklicher Hinweis des Arbeitgebers auf die Klausel soll das Überraschungsmoment beseitigen. Im Arbeitsleben weit verbreitete Regelungen sind nicht überraschend.
Rz. 185
Nach diesen Grundsätzen soll eine Altersgrenze, die in allgemeinen Arbeitsbedingungen unter der Überschrift "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" enthalten ist, keine überraschende Klausel darstellen. Es sei nicht unüblich, dass für Arbeitnehmer eines Unternehmens eine einheitliche Altersgrenze gilt und diese in den für den Arbeitgeber geltenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen enthalten ist. Auch hätte der Arbeitnehmer unter der gewählten Überschrift mit einer Altersgrenze rechnen müssen. Eine Ausschlussfrist, die sich in einem detaillierten Arbeitsvertrag neben anderen Regelungen unter der Überschrift "Schlussbestimmungen" befand, wurde dagegen als ungewöhnlich qualifiziert. An dieser Stelle müsse ein verständiger Arbeitnehmer nicht mit dem Verfall von Ansprüchen bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung rechnen. Dasselbe gelte für eine Klausel, die eine rückwirkende Vertragsänderung unter der Überschrift "Vertragsdauer und Kündigung" vorsieht. Ebenso entschied das BAG in einem Fall, in dem anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einem Arbeitnehmer eine mit "Rückgabe Ihrer Unterlagen" überschriebene Erklärung übergeben worden war, die eine nicht besonders kenntlich gemachte Ausgleichsquittung enthielt. Weist ein Arbeitsvertrag ein komplett einheitliches Schriftbild auf, dann soll selbst eine drucktechnisch nicht weiter hervorgehobene Vertragsstrafevereinbarung nicht überraschend sein, wenn sie in einem eigenen Paragraphen niedergelegt ist. Entsprechendes soll für eine allein das vertragliche Wettbewerbsverbot absichernde und im Zusammenhang mit demselben geregelte Vertragsstrafe gelten, ungeachtet der Überschrift "Geheimhaltung und Wettbewerbsverbot." Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einschlägige Tarifverträge sei deshalb nicht überraschend, weil sie gerade den Erwartungen der Arbeitnehmer entspreche bzw. im Arbeitsleben verbreitet sei. Mit einer sog. Tarifwechselklausel müsse ein Arbeitnehmer ebenfalls rechnen. Ebenso entspreche es einer im Arbeitsrecht gebräuchlichen und durchschaubaren Regelungstechnik, wenn eine Klausel einen Sachverhalt nur teilweise regelt und im Übrigen konkludent auf das Gesetz – z.B. auf § 106 S. 1 GewO – verweist.