Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1662
Nach § 106 S. 1 GewO darf der Arbeitgeber unter anderem den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist. Der Inhalt der einzelvertraglichen Regelungen ist durch Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Es ist insbesondere festzustellen, ob ein bestimmter Tätigkeitsort vertraglich festgelegt worden ist und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat oder ob Normen eines anwendbaren Tarifvertrags Regelungen dazu treffen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 S. 1 GewO gelten und eine Befugnis zur einseitigen Zuweisung eines anderen Arbeitsorts bestehen soll. Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, unterliegt dies der Ausübungskontrolle gemäß § 106 S. 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB. Kann der Arbeitgeber wegen der Schließung einer Niederlassung die dort tätige Arbeitnehmerin am bisherigen vertraglichen Einsatzort nicht mehr beschäftigen und erweist sich die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung wegen bestehender Schwangerschaft der Arbeitnehmerin als unwirksam, überschreitet die (im Arbeitsvertrag vorbehaltene) Versetzung in eine andere Filiale nach Auffassung des LAG Hamm die Grenze billigen Ermessens, wenn die Arbeitnehmerin auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen sei und je Strecke eine Fahrtzeit von mehr als zwei Stunden anfalle. Das gelte auch dann, wenn es sich um die einzige geeignete freie Stelle handele. Eine vorformulierte arbeitsvertragliche Versetzungsklausel, die materiell der Regelung in § 106 S. 1 GewO entspricht, unterliegt nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie stellt keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung i.S. des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB dar und unterliegt deshalb nicht der Kontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, §§ 308 und 309 BGB. Nach den Grundsätzen von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist es nicht zwingend notwendig, Ankündigungsfristen oder den zulässigen Entfernungsradius in derartige Vertragsklauseln aufzunehmen. § 106 GewO sowie entsprechende Versetzungsklauseln tragen dem im Arbeitsrecht bestehenden spezifischen Anpassungs- und Flexibilisierungsbedürfnis Rechnung (§ 310 Abs. 4 BGB). Festlegungen durch Vorgaben hinsichtlich der Regionen, des Entfernungsradius und der Mindestkündigungsfristen, um dem Arbeitnehmer Klarheit zu verschaffen, innerhalb welcher Grenzen und Fristen der Arbeitgeber von seiner örtlichen Versetzungsbefugnis Gebrauch machen will, sind wünschenswert, jedoch nicht zwingend zur Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB erforderlich.
Einzelvertraglich vereinbarte Versetzungsvorbehalte, die das Direktionsrecht dahin erweitern, dem Arbeitnehmer auch Tätigkeiten in einem anderen Betrieb des Unternehmens an einem anderen Ort zuzuweisen, sind grundsätzlich zulässig. Der arbeitsvertragliche Versetzungsvorbehalt verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Sind arbeitsvertraglich Außendiensttätigkeiten oder Bau- und Montagearbeiten geschuldet, ergibt die Auslegung des Vertrages, dass die Arbeit an wechselnden Orten zu erbringen ist. Der Anordnung des Arbeitgebers folgend muss der Arbeitnehmer die Arbeitsstelle aufsuchen, an der jeweils die geschuldete Leistung zu erbringen ist. Das gilt auch für eine in einem Gebäudereinigungsunternehmen tätige Raumpflegerin; sie kann an verschiedene Arbeitsstätten entsandt werden. Wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat, gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen, um dort Dienstleistungen zu erbringen oder Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dasselbe gilt für Reisen, die wegen einer vorübergehenden Entsendung zur Arbeit ins Ausland erforderlich sind, weil diese fremdnützig und damit Arbeit im vergütungsrechtlichen Sinn sind, wenn sie ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und im untrennbaren Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen. Gehören zum ...