Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1068
Vereinbarungen über besondere Kündigungsgründe sehen zudem regelmäßig vor, dass bei Eintritt des vereinbarten Kündigungsgrundes eine Kündigung ohne weitere Voraussetzung zulässig sein soll. Derartige absolute Kündigungsgründe kennt das Gesetz nur ausnahmsweise noch bei den Arbeitsverhältnissen der Seeleute in § 67 SeemG. § 626 Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 2 KSchG beinhalten demgegenüber bloße Generalklauseln, anhand derer das Vorliegen der Kündigungsberechtigung im jeweiligen Einzelfall überprüft werden muss. So ist bei der außerordentlichen Kündigung zunächst zu beurteilen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der grds. geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Auch wenn dies der Fall ist, muss in einem zweiten Schritt stets überprüft werden, ob der an sich vorliegende Kündigungsgrund auch im konkreten Einzelfall eine außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Dies erfordert eine umfassende Interessenabwägung, bei der das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers abgewogen wird. Auch die ordentliche Kündigung steht grds. unter dem Vorbehalt einer Interessenabwägung. Da eine Kündigung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen würde, wenn sie nicht als ultima ratio erforderlich und geboten wäre, sind auch bei einer ordentlichen Kündigung stets die wechselseitigen Interessen der Vertragsparteien abwägend in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
Rz. 1069
Eine Erweiterung des außerordentlichen Kündigungsrechts über die Vorgaben des § 626 Abs. 1 BGB hinaus verstößt daher nicht nur gegen die unabdingbaren gesetzlichen Mindestkündigungsfristen des § 622 BGB; die vertragliche Festlegung absoluter Kündigungsgründe würde zudem auch das zwingende Erfordernis der abschließenden Interessenabwägung umgehen. Letzteres gilt gleichermaßen für die vertragliche Vereinbarung von Gründen, die die ordentliche Kündigung rechtfertigen sollen. Den Arbeitsvertragsparteien ist es daher nicht möglich, Gründe, bei deren Vorliegen unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine (außerordentliche oder ordentliche) Kündigung des Arbeitgebers stets zulässig sein soll, vertraglich zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund sind die in den vorstehenden Musterformulierungen vereinbarten Kündigungsgründe für sich allein nicht ausreichend, um eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung materiell rechtfertigen zu können. Zwar können die dort genannten Sachverhalte im Einzelfall geeignet sein, einen Kündigungsgrund darzustellen, doch kann mit ihnen das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht wirksam abbedungen werden. Vielmehr ist ungeachtet der Vereinbarung besonderer Kündigungsgründe nicht nur eine Interessenabwägung durchzuführen, sondern unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch zu prüfen, ob nicht die Kündigung durch mildere Maßnahmen wie eine Abmahnung oder Änderungskündigung vermieden werden könnte.