Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 852
Angesichts dieser Ausgangssituation könnte angenommen werden, dass eine Regelung, insbesondere ein ausdrückliches Verbot nicht erforderlich ist, wenn der Arbeitnehmer den Internetzugang oder das E-Mail-System nicht privat nutzen soll. Eine ausdrückliche Regelung ist gleichwohl dringend zu empfehlen, da die stattfindende private Nutzung ohne eine Klarstellung seitens des Arbeitgebers auch als Duldung einer entsprechenden Nutzung gewertet werden und dazu führen kann, dass eine betriebliche Übung entsteht. Eine derartige betriebliche Übung soll nach einer in der Literatur verbreiteten Ansicht die Zulässigkeit der privaten Nutzung von Internet und E-Mail durch die Arbeitnehmer begründen können.
Rz. 853
Eine betriebliche Übung liegt allgemein vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Verhaltensweisen regelmäßig wiederholt, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweisen gewährten Leistungen oder Vergünstigungen auch in Zukunft erhalten bleiben sollen. Von einer Gestattung der privaten Nutzung von Internet und E-Mail aufgrund betrieblicher Übung ist nach den hierzu in der Literatur vertretenen Ansichten auszugehen, wenn der Arbeitgeber von dieser Art der Nutzung Kenntnis hatte oder diese für ihn erkennbar war und er sie über einen längeren Zeitraum, von i.d.R. sechs bis zwölf Monaten, widerspruchslos hingenommen hat. Außerdem müssen die Arbeitnehmer darauf vertraut haben, dass sie auch in der Zukunft diese Technologien privat nutzen dürfen. Dagegen hat sich die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, mit der Zulässigkeit der privaten Nutzung aufgrund betrieblicher Übung noch nicht beschäftigt.
Rz. 854
Auch wenn es zweifelhaft erscheint, aus einer bloßen Duldung der privaten Nutzung durch den Arbeitgeber auf eine Rechtsbindung durch betriebliche Übung zu schließen, sollte eine Streitigkeit über diese Frage vermieden und bereits im Arbeitsvertrag eindeutig geregelt werden, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den betrieblichen Internetzugang oder das betriebliche E-Mail-System privat nutzen darf. Das LAG Köln hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, es sei Organisationsaufgabe des Arbeitgebers, die Nutzung des betrieblichen Computersystems klar zu definieren und den Arbeitnehmern im Einzelnen vor Augen zu führen, welche Tatbestände verboten und welche erlaubt sind.
Rz. 855
Vor einer solchen Regelung muss es dem Arbeitgeber klar sein, dass er die einmal begründete Erlaubnis zur privaten Nutzung im Regelfall nur durch eine Änderungsvereinbarung oder eine Änderungskündigung wieder rückgängig machen kann. Im Falle eines wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalts kommt auch eine entsprechende Erklärung, bei einem wirksamen Widerrufsvorbehalt die Widerrufserklärung in Betracht. Ist die Nutzungserlaubnis durch eine betriebliche Übung begründet worden, könnte theoretisch auch an eine gegenläufige betriebliche Übung gedacht werden, die aber in der Praxis kaum gelingen und vom BAG zumindest im Hinblick auf Gratifikationen nicht mehr anerkannt wird.
Rz. 856
Eine Erlaubnis zur privaten Nutzung könnte auch wesentliche Auswirkungen auf die Kontrollbefugnisse des Arbeitgebers haben. Der Arbeitgeber hat i.d.R. ein berechtigtes Interesse zu überprüfen, für welche Zwecke seine Mitarbeiter den betrieblichen Internetzugang und das betriebliche E-Mail-System nutzen und ob sie ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung während der Arbeitszeit nachkommen. Gestattet er seinen Mitarbeitern die private Nutzung, dann sollen nach einer in der Literatur verbreiteten Ansicht die speziellen datenschutzrechtlichen Regelungen des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG), die den bisherigen Regelungen im TKG entsprechen, i.R.d. Arbeitsverhältnisse zur Anwendung kommen. Die Folge davon wäre eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses beim Versand und Empfang privater E-Mails, welches durch § 3 TTDSG (vormals § 88 Abs. 2 TKG) geschützt ist. Nach dieser Vorschrift ist jeder Diensteanbieter zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet. Diensteanbieter ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG jeder, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt. Die geschäftsmäßige Erbringung wird in Anlehnung an die frühere Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 10 TKG als das nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht definiert. Ein Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern die private Nutzung des betrieblichen E-Mail-Systems gestatte, erbringe nach einer verbreiteten Ansicht einen Telekommunikationsdienst, da er Dritten, den Arbeitnehmern, dauerhaft solche Dienste anbiete. Speichern die Mitarbeiter im Falle der Erlaubnis zur privaten Nutzung des Internets auf dem dienstlichen Computer Dateien mit pornografischem Inhalt, die sie aus dem Internet heruntergeladen haben, soll der Arbeitgeber nach einer Entscheidung des ArbG Gelsenkirchen nicht berechtigt sein, die D...