Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 412
Ist die Versetzung vom (vertraglich erweiterten) Direktionsrecht gedeckt, so bedarf es immer noch einer Ausübungskontrolle, § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB. Die konkrete Versetzung muss danach billigem Ermessen entsprechen, d.h.: Die Interessen des Arbeitgebers an der Versetzung sind mit den Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung des bisherigen Arbeitsorts abzuwägen. Dabei trägt der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit der Versetzung beruft, die Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 413
Kriterien bei der Ausübungskontrolle sind auf der einen Seite die betrieblichen Bedürfnisse an einer Versetzung gerade des betreffenden Arbeitnehmers. Auf der anderen Seite sind die privaten Belange des Arbeitnehmers in die Waagschale zu legen, etwa Vermeidung eines Umzugs aus nachvollziehbaren privaten Gründen (Alter, schulpflichtige Kinder, pflegebedürftige Angehörige etc.). Eine Versetzung an einen weiter entfernten Ort ist regelmäßig nur nach einer Ankündigungsfrist zulässig; die Länge der Frist ist einzelfallabhängig. Eine Sozialauswahl muss bei einer örtlichen Versetzung aus betriebsbedingten Gründen allerdings nicht durchgeführt werden. Ist aufgrund der Ausübungskontrolle eine Versetzung nicht gerechtfertigt, muss der Arbeitnehmer möglicherweise mit einer betriebsbedingten (Änderungs-) Kündigung rechnen.
Rz. 414
Die dem Arbeitnehmer durch den Wechsel des Arbeitsorts entstehenden Kosten wie Umzugskosten, erhöhte Fahrtkosten etc. hat der Arbeitgeber nach § 670 BGB zu tragen. Nach anderer Auffassung ist bei der Ausübungskontrolle zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber sich bereit erklärt, zumutbare Fristen zu gewähren und entstehende Kosten zu übernehmen. Ist eine örtliche Versetzung rechtswidrig, wird sie aber vom Arbeitnehmer unter Vorbehalt akzeptiert, so schuldet der Arbeitgeber Schadensersatz, etwa die entstandenen Reisekosten.
Rz. 415
Strafversetzungen widersprechen stets der Ausübungskontrolle. So ist die Versetzung einer Mitarbeiterin in Elternzeit ins Ausland (hier: London statt Frankfurt) rechtsmissbräuchlich. Auch die örtliche Versetzung von ausschließlich ehemals befristet beschäftigten Arbeitnehmern – so bemerkenswerterweise das Vorgehen der Bundesagentur für Arbeit – hält einer Ausübungskontrolle nicht stand. Allerdings kann der Arbeitgeber eine örtliche Versetzung ins Auge fassen, um dadurch nicht anders lösbare Konflikte zwischen Arbeitnehmern zu begegnen. Hierbei muss er nicht zuvor den Verantwortlichen ermitteln und dann versetzen; anders mag es bei klaren Mobbinghandlungen sein.