Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 480
Von den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes kann nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden, § 12 EFZG (Unabdingbarkeit). Das Abweichungsverbot sichert den gesetzlichen Mindeststandard auf dem Gebiet der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen. Der Grundsatz der Unabdingbarkeit wird in § 4 Abs. 4 EFZG nur insoweit durchbrochen, dass Tarifvertragsparteien eine von den Vorschriften des EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festlegen können.
Rz. 481
Möglich ist, von den Bestimmungen zugunsten der Arbeitnehmer abzuweichen, z.B. günstigere Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung oder zur Dauer des Entgeltfortzahlungszeitraums (Verlängerung). Bei dem Günstigkeitsvergleich ist nur die jeweilige Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe zu betrachten; Vergünstigungen in einem anderen Bereich der Entgeltfortzahlung sind nicht einzubeziehen. Eine Kompensation der ungünstigeren Abweichung mit einer günstigeren Abweichung findet nicht statt. So kann Einführung von Karenztagen nicht mit der Verlängerung des Entgeltfortzahlungszeitraums verglichen und als insgesamt günstigere Regelung bewertet werden.
Rz. 482
Beispiele für ungünstigere Abweichungen sind: Verpflichtung zur Hergabe einer weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die Verpflichtung zum Aufsuchen eines bestimmten Arztes, die Einstellung von Unterbrechungszeiten in den Sechs-Wochen-Zeitraum, längere Wartezeit als Anspruchsvoraussetzung, Ausgleich der im Rahmen flexibler Arbeitszeit entstandenen Zeitschuld allein durch tatsächliche Arbeitsleistungen, nicht durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Umwandlung der Leistungsverweigerungsrechte des Arbeitgebers in dauerhafte Leistungsverweigerungsrechte nach Ablauf einer bestimmten Frist.
Rz. 483
Entsprechend den für die jeweilige Rechtsgrundlage geltenden Regeln können günstigere Regelungen ohne Weiteres wieder auf das gesetzliche Maß zurückgeführt werden. So begründen etwa Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung über eine längerfristige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall keinen rechtlich geschützten Besitzstand für den Arbeitnehmer; die Verschlechterung der Ansprüche durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung ist rechtlich in der Regel unbedenklich.
Rz. 484
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann nicht im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Das gilt im bestehenden Arbeitsverhältnis ebenso wie im Zusammenhang mit der Beendigung.
Rz. 485
Ein Erlassvertrag im Zusammenhang mit einem Vergleich über eine aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochene Kündigung ist wegen der nach § 8 EFZG fortdauernden Ansprüche auf Entgeltfortzahlung nicht wirksam. Allerdings können die Arbeitsvertragsparteien alle zukünftigen Ansprüche fällig stellen und damit eine andere tatsächliche Ausgangslage schaffen; dann wird nicht mehr über künftige Ansprüche im Voraus, sondern nur über bestehende Ansprüche verfügt; ein Erlassvertrag ist dann wirksam. Dies gilt sowohl bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses als auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses.
Nicht möglich sind Vereinbarungen, die die Entgeltfortzahlung und ihren Inhalt grundsätzlich Frage stellen. Jedoch kann der Arbeitnehmer weiterhin über Entgeltansprüche verfügen und damit etwa auch rechtswirksam auf die Durchsetzung eines fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs verzichten. Jederzeit zulässig ist der Abschluss eines sog. Tatsachenvergleichs, weil dadurch nicht von den Vorschriften des Gesetzes abgewichen wird.