Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1682
Mit der Digitalisierung, Virtualisierung und Vernetzung der Arbeitsprozesse erlebt die Organisationsform der Matrixstruktur und damit eine besondere Form des drittbezogenen Personaleinsatzes in der Arbeitswelt 4.0 derzeit eine neue Hochphase. Der Einsatz moderner Kommunikationsmittel und eine vernetze Produktion bzw. Arbeitsabläufe ermöglichen es, orts- und zeitungebunden agil zu arbeiten (anywhere and anytime). Dabei wirkt sich die Matrix in besonderer Weise auf das arbeitgeberseitige Weisungsrecht aus. Die Frage, wer wem welche Weisung erteilen darf, trifft den Kern des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 613a S. 2 BGB, "Höchstpersönlichkeit des Arbeitsverhältnisses"). Prägende Kennzeichen der Matrix sind die unternehmensübergreifende Arbeitsorganisation und die Mehrlinigkeit ihrer Leitungsstrukturen (Stichworte: solid line und dotted line). Durch das damit verbundene Auseinanderfallen von fachlichem und disziplinarischem Weisungsrecht werden Führungsaufgaben, aber auch Führungskompetenzen dezentralisiert bzw. für bestimmte Bereiche bei unterschiedlichen Vorgesetzten gebündelt.
In global operierenden Konzernstrukturen, die in Form einer Matrix organisiert sind, stellen sich viele Fragen und Probleme, die einer rechtlichen Einordnung und tragfähiger Lösungen bedürfen. Es entspricht gängiger Unternehmenspraxis und ist rechtlich anerkannt, dass der Vertragsarbeitgeber sein Weisungsrecht auf gesetzliche oder vertragliche Vertreter und auf niedrigere Hierarchieebenen des Unternehmens delegieren kann. Das Weisungsrecht lässt sich nach Stimmen im Schrifttum auch in ein disziplinarisches und ein fachliches Weisungsrecht aufspalten. Allerdings bestimmt der vertraglich abdingbare § 613 S. 2 BGB, dass der Anspruch auf die Dienste im Zweifel nicht übertragbar ist. Bei Übertragung des fachlichen Weisungsrechts auf den Matrixmanager (Funktions- oder Produktmanager) liegt i.d. Regel aber kein Verstoß gegen § 613a S. 2 BGB vor. Kern der Matrixvereinbarungen ist dabei die "Übertragung" oder Delegation/Ausübungsermächtigung entsprechend den §§ 164 ff. BGB des fachlichen Weisungsrechts auf den Matrixmanager. In der Praxis wird in diesem Zusammenhang oft von "Berichtslinien" (engl. "reporting lines") gesprochen. Gemeint ist damit, dass der Anordnungsberechtigte jederzeit Informationen von dem ihm Unterstellten verlangen kann, um z.B. die Befolgung von Weisungen oder das Erreichen vorgegebener Ziele zu kontrollieren. Dagegen verbleibt das disziplinarische Weisungsrecht beim Vertragsarbeitgeber. Zu ihm zählen außer den "Disziplinarbefugnissen", die üblicherweise einem "Disziplinarvorgesetzten" zustehen – wie das Recht zur Abmahnung und zur Kündigung des Arbeitsvertrags –, alle weiteren Rechte, die sich aus der Gläubigerstellung des Arbeitgebers ergeben. Dazu gehören z.B. die Erteilung von Erholungsurlaub, aber auch Beurteilungen, Maßnahmen zur Personalentwicklung und Entgeltfragen; kurz also alle Befugnisse, die letztlich im Arbeitsvertrag wurzeln und nicht direkt mit der Erteilung fachlicher Weisungen zu tun haben.
Neben einer Neujustierung des Weisungsrechts bedarf es einen "modernen Betriebsbegriffs", einer rechtssicheren Zuordnung der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der durch die Matrix betroffenen Betriebsräte, tragfähiger datenschutzrechtlicher Konzepte und arbeitsvertraglicher Regelungen ("Matrixklausel" bzw. "besondere Vereinbarungen").
Matrix-Strukturen sind von funktionalen und organisatorischen Erwägungen geprägt und "ignorieren" gleichsam gesellschaftsrechtliche Strukturen sowie die individualarbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen. Bis zum Vorliegen einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und damit eintretender Rechtssicherheit ist die arbeitsrechtliche Erfassung und Regelung der Matrix naturgemäß mit erheblichen Unsicherheiten und Risiken behaftet. Vor diesem Hintergrund dienen die nachfolgenden Überlegungen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – der Anregung und problembezogenen Orientierung:
Die arbeitsvertragliche Regelung zur Matrix muss den Einsatz des Arbeitnehmers in unternehmensübergreifenden Konzernstrukturen thematisieren. Insoweit kann auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und das Schrifttum zu Konzernversetzungsklauseln und konzerndimensionalem Kündigungsschutz zurückgegriffen werden, auch wenn der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen ein aliud gegenüber dem Einsatz von Arbeitnehmern auf der Basis von Konzernversetzungsklauseln ist.
Mit Blick auf die AGB-Kontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB hat der Versetzungsvorbehalt, die Gleichwertigkeit der Tätigkeit bei insbesondere unveränderter Vergütung zu normieren.
Es ist klarzustellen, dass der Kernbereich der Arbeitgeberstellung, das disziplinarische Weisungsrecht (Entlohnung, Urlaubsgewährung, personelle Einzelmaßnahmen, Abmahnung und Kündigung, etc.) allein beim Vertragsarbeitgeber verbleibt.
Das fachli...