Martin Brock, Dr. Katja Francke
a) Allgemeines und Begriff
Rz. 1626
Mit Wirkung zum 1.1.2003 hat der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung der Gewerbeordnung mit § 106 GewO erstmals eine gesetzliche Regelung über das Weisungsrecht geschaffen, die für alle Arbeitsverhältnisse (§ 6 Abs. 2 GewO) gilt. Dabei sollte unter wesentlicher Übernahme des Inhalts des im Gegenzug aufgehobenen § 121 GewO die bisherige Rechtsprechung "in moderner Sprache" im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit kodifiziert werden. Inhaltliche Veränderungen waren damit nicht verbunden, sieht man von der besonderen Vorschrift zur Berücksichtigung von Behinderungen ab (vgl. § 106 S. 3 GewO). Seither ist § 106 GewO u.a. gesetzliches Leitbild für die Überprüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Es handelt sich um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers, das doppelte Relevanz hat: Einerseits ist es notwendige Bedingung, um überhaupt vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bzw. vom Status als Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn ausgehen zu können. Andererseits konkretisiert der Arbeitgeber mit seinem Weisungsrecht die arbeitsvertraglich häufig nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht – das heißt die dem Umfang nach bereits bestimmte Gegenleistung des Arbeitnehmers – hinsichtlich Zeit, Ort und Art der zu erbringenden Arbeitsleistung und schafft damit regelmäßig erst die Voraussetzung dafür, dass der Arbeitnehmer diese erbringen und das Arbeitsverhältnis praktisch durchgeführt werden kann. Insofern ist die Ausübung des Weisungsrechts notwendige Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, wobei der erforderliche Weisungsumfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Ist eine Weisung des Arbeitgebers teilweise nicht mit dem Arbeitsvertrag vereinbar, kann sich daraus nach § 139 BGB die Unwirksamkeit der Weisung insgesamt ergeben, wenn der unwirksame Teil ein wesentlicher Bestandteil der Maßnahme des Arbeitgebers ist. Gemäß § 106 GewO kann der Arbeitgeber den Inhalt, den Ort und die Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften (sog. Vorrang höherrangiger Rechtsquellen) festgelegt sind. Das gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (z.B. Alkohol- und Rauchverbot). Bestehen zwischen Arbeitnehmern Spannungen, kann der Arbeitgeber dem durch die Umsetzung eines der Arbeitnehmer begegnen. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, anstelle der Umsetzung eine Abmahnung auszusprechen.
Das arbeitgeberseitige Weisungsrecht bzw. sein allgemeines Direktionsrecht und die dem entsprechende Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers sind charakteristische Merkmale des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig beschrieben ist, konkretisiert der Arbeitgeber durch die Ausübung seines Direktionsrechts. Bei der Ausübung des Ermessens hat er nach § 106 S. 3 GewO auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Da es sich bei dem billigen Ermessen nach § 106 S. 1 GewO um einen unbestimmten, von der Rechtsprechung mit Auslegungs- und Wertungsspielraum auszufüllenden Rechtsbegriff handelt, kommt es in der Praxis regelmäßig zu Unsicherheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Weisungen einseitig gestaltend vom Arbeitgeber erteilt werden können und wann eine Änderung des Vertragsverhältnisses (durch einvernehmliche Änderung = Änderungsvertrag oder einseitige Änderungskündigung) erforderlich ist. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers dient nur der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, beinhaltet aber nicht das Recht zu einer Änderung des Vertragsinhalts. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung; eine Zuweisung geringerwertiger Tätigkeiten ist auch dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung fortgezahlt wird.
Das die Hauptleistungspflicht konkretisierende Direktions- oder Weisungsrecht ermöglicht dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer einseitig bestimmte neue oder andere Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festzulegen. Auch kann der Arbeitgeber in den arbeitsvertraglichen Grenzen in Ausübung seines (erweiterten) Direktionsrechts Überstunden anordnen, Kurzarbeit einführen, vorübergehend geringer- oder höherwertige Tätigkeiten übertragen, den Arbeitnehmer in eine andere Konzerngesellschaft versetzen oder den Arbeitnehmer zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub einseitig freistellen. Die beiderseitigen Hauptleistungspflichten (geschuldete Tätigkeit einerseits und Vergütung andererseits) unterliegen nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer kann seine tatsächliche Beschäftigung grundsätzlich solange nach Maßgabe der bisherigen Weisungslage fordern, bis der Arbeitgeber über den Aufgabenkreis ...