Martin Brock, Dr. Katja Francke
a) Allgemeines
Rz. 1701
Die einseitige Änderung einzelner Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber ist ohne entsprechende Vorsorge im Arbeitsvertrag praktisch nicht möglich. Eine Teilkündigung ist dem deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich fremd; eine Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung ist aufgrund ihrer extrem hohen Anforderungen meist unpraktikabel und ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nur in engen Ausnahmefällen in Betracht. Ein Instrument zur Anpassung des Vertragsinhalts an eine zukünftige Änderung der Rahmenbedingungen ist der Widerrufsvorbehalt. Der Arbeitgeber sagt hier dem Arbeitnehmer eine Leistung verbindlich zu, verknüpft sie aber zugleich mit dem Vorbehalt, sich für die Zukunft wieder von ihr zu lösen. In der Praxis sind Widerrufsvorbehalte vor allem bei Zusatzleistungen verbreitet.
b) Wirksamkeitsvoraussetzungen
Rz. 1702
Das BAG unterzieht Widerrufsvorbehalte einer zweistufigen Prüfung. Auf der ersten Stufe wird die wirksame Vereinbarung des Widerrufs kontrolliert (Vereinbarungskontrolle). Wirksam vereinbart wird ein Widerrufsvorbehalt nur dann, wenn er bestimmten inhaltlichen und formalen Anforderungen genügt. Neben diese Vereinbarungskontrolle tritt die Ausübungskontrolle als zweite Stufe. Dort wird überprüft, ob der Arbeitgeber von seinem – wirksam vereinbarten – Widerrufsrecht im Einzelfall in zulässiger Art und Weise Gebrauch gemacht hat.
aa) Inhaltliche Anforderungen
Rz. 1703
Die Wirksamkeitsgrenzen für vorformulierte Widerrufsvorbehalte folgen aus den §§ 307, 308 Nr. 4 BGB. Danach muss die Widerruflichkeit dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Das ist der Fall, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. Die Notwendigkeit beurteilt sich wiederum auf Grundlage einer Interessenabwägung, die vor allem die Art und Höhe der zu widerrufenden Leistung, die Höhe des verbleibenden Verdienstes und die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen berücksichtigt. Die Interessenabwägung muss ergeben, dass die Widerrufsgründe den Widerruf typischerweise rechtfertigen, d.h. losgelöst vom konkreten Einzelfall. Es gelten folgende Leitlinien:
(1) Unzulässig: Eingriffe in den Kernbereich
Rz. 1704
Ein Arbeitgeber kann Leistungen, die den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betreffen, nicht mit einem Widerrufsvorbehalt versehen. Ein solcher würde gegen die Wertung des § 307 Abs. 2 BGB verstoßen. Das BAG konkretisiert den Kernbereich anhand zweier Grenzen – der tariflichen Vergütung einerseits und einem bestimmten Höchstsatz an der Gesamtvergütung andererseits. Der Kernbereich soll immer dann betroffen und ein Widerrufsvorbehalt somit unzulässig sein, wenn dem Arbeitnehmer nach Ausübung des Widerrufs nicht mehr die tarifliche Vergütung verbleibt. Diese Einschränkung ist allerdings abzulehnen. Tarifverträge sind kein tauglicher Maßstab für die Inhaltskontrolle (siehe dazu Rdn 175 ff.). Im Übrigen darf bei Tarifgebundenheit der Tariflohn ohnehin nicht unterschritten werden. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber ohne gesetzliche Anordnung an den Tariflohn als Untergrenze zu binden, wäre höchst bedenklich. Vorzugswürdig ist es, stattdessen die Rechtsprechung zur sittenwidrig niedrigen Vergütung als absolute Untergrenze für den Widerrufsvorbehalt heranzuziehen (siehe dazu Rdn 1720).
Rz. 1705
Ein unzulässiger Eingriff in den Kernbereich soll auch dann vorliegen, wenn ein bestimmter Prozentsatz des Gesamtverdienstes widerruflich gestellt wird. Die...