Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 960
Im Hinblick auf die Formulierung bereitet eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel vergleichsweise geringe Probleme, da die mit ihr gewünschte zeitliche Dynamik durch die Aufnahme einer Jeweiligkeitsklausel herbeigeführt werden kann (siehe Rdn 974). Als zweckmäßig erweist sich angesichts der in Tarifverträgen zunehmend aufgenommenen Öffnungsklauseln zugunsten betrieblicher Regelungen jedenfalls aus Gründen der Klarstellung ein Zusatz, der auch ergänzende betriebliche Abreden einbezieht (siehe Rdn 974).
Rz. 961
Die Aufnahme einer kleinen dynamischen Bezugnahme ist allerdings mit der Konsequenz verbunden, dass der benannte Tarifvertrag seine zeitliche Dynamik nach der neueren Rechtsprechung auch dann behält, wenn Änderungen im Hinblick auf die kraft Tarifrechts anzuwendenden Bestimmungen eintreten. Dies kann sowohl auf einem nachfolgenden Verbandsbeitritt des bislang nicht tarifgebundenen Arbeitgebers beruhen, als aber auch bei tarifgebundenen Arbeitgebern relevant sein, wenn aufgrund des Tarifrechts ein anderer Tarifvertrag mit abweichendem fachlichen Geltungsbereich zur Anwendung kommt oder aber bei alleiniger Anwendung des Gesetzes die bisher kraft des Tarifrechts angewendeten Tarifbestimmungen ihre zeitliche Dynamik verlieren.
Rz. 962
Bei tarifgebundenen Arbeitgebern kommt die Anwendung eines anderen Tarifvertrages insbesondere bei einer Änderung des Betriebszwecks bzw. des Unternehmensgegenstandes oder aber bei einem Betriebs(teil-)übergang in Betracht, wenn bei dem Erwerber tarifrechtlich ein anderer Tarifvertrag zur Anwendung gelangt. In zeitlicher Hinsicht ist insbesondere der Ablauf des Tarifvertrages, der Verbandsaustritt sowie abermals der Betriebs(teil-)übergang problematisch, da ohne dynamische Bezugnahme die bislang tarifrechtlich anzuwendenden Tarifverträge lediglich statisch für das Arbeitsverhältnis fort gelten.
Rz. 963
Nach den von der neueren Rechtsprechung des BAG angelegten Maßstäben schließt die ausdrückliche Benennung der anzuwendenden Tarifverträge die Anwendung anderer Tarifverträge mit abweichendem fachlichem Geltungsbereich allein aufgrund der Bezugnahmeklausel aus. Das gilt grundsätzlich auch für die tarifgebundenen Arbeitnehmer, sofern nicht der kraft Tarifrechts anzuwendende Tarifvertrag für sie günstiger ist. Soll etwas anderes gelten, so bedarf es in der Regel einer Ergänzung der kleinen dynamischen Bezugnahme- durch eine Tarifwechselklausel (siehe Rdn 976). Das BAG schließt eine entsprechende Auslegung kleiner dynamischer Bezugnahmeklauseln zwar auch ohne ausdrückliche Abrede nicht generell aus, verlangt hierfür aber besondere Umstände, die grundsätzlich in dem Vertragstext einen Niederschlag finden müssen. Eine ergänzende Auslegung der Bezugnahmeklausel ist ausschließlich in dem Sonderfall anerkannt, dass der in einer Klausel ausdrücklich benannte Tarifvertrag durch einen anderen Tarifvertrag ersetzt wird (Tarifsukzession), was insbesondere bei der Inbezugnahme des BAT zu einer Ersetzung durch den TVöD führt. Auslegungszweifel lassen sich für derartige Konstellationen vermeiden, indem die inhaltliche Bezugnahme auf "ersetzende Tarifverträge" ausgedehnt wird.
Rz. 964
Andererseits genießt auch der tarifgebundene Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern im Hinblick auf die Dynamik nach der neueren Rechtsprechung des BAG insofern einen Bestandsschutz, dass spätere Fassungen des Tarifvertrages auch dann zur Anwendung gelangen, wenn dies ohne Bezugnahmeklausel nicht der Fall wäre, also insbesondere bei einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers (oder des Arbeitnehmers) sowie bei einem Betriebsinhaberwechsel, da die Tarifnormen bei diesem gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB lediglich in ihrer bislang maßgebenden Fassung Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Die letztgenannte Rechtsfolge des § 3 Abs. 3 TVG bzw. des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB wird deshalb auch bei tarifgebundenen Arbeitnehmern durch die (zeitliche) Dynamik der Bezugnahme außer Kraft gesetzt (sog. unbedingte zeitdynamische Verweisung). Entsprechendes gilt, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag in das Nachwirkungsstadium eintritt, die Bezugnahmeklausel jedoch dynamisch auf den Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung verweist. Eine andere Bewertung einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel kommt nur dann in Betracht, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zur auflösenden Bedingung der Bezugnahme gemacht wird. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BAG ist dies im Text der Klausel hinreichend deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Rz. 965
Die ggf. im Wege der Auslegung gewonnene Dynamik der Bezugnahme, die den Betriebserwerber auch an nach Betriebsübergang abgeschlossene Tarifverträge bindet, war durch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtsache Alemo-Herron in Frage gestellt, da der Erwerber hiernach nicht an Tarifverträge gebunden sein dürfe, wenn er an den Verhandlungen der nach dem Übergang abgeschlossenen Tarifverträge nicht teilnehmen konnte....