Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 208
Die ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB ist ein Instrument zur Schließung von Lücken im Regelungsplan der Vertragsparteien, die nicht durch dispositives Gesetzesrecht geschlossen werden können. Auch AGB sind einer solchen ergänzenden Auslegung grundsätzlich zugänglich. Arbeitsrechtliche Besonderheiten, die einer Anwendung dieses Rechtsinstituts entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Freilich ist zu beachten: Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nur unter eng umgrenzten Voraussetzungen möglich. Dies gilt bereits für die Annahme einer Regelungslücke. Allein der durch die Unwirksamkeit einer Klausel bedingte Wegfall der Parteiregelung reicht hierfür nicht aus. Der 3. und 5. Senat des BAG verlangen zusätzlich, dass das Unterbleiben der Vertragsergänzung keine angemessene, den typischen Interessen der Vertragsparteien Rechnung tragende Lösung bietet. Nach der strengeren Auffassung des 8., 9. und 10. Senats des BAG kommt eine ergänzende Vertragsauslegung erst dann in Betracht, wenn es für den Verwender darüber hinaus eine unzumutbare Härte i.S.v. § 306 Abs. 3 BGB wäre, an dem nicht ergänzten Vertrag festzuhalten. Das sei nur dann der Fall, wenn die Vertragslücke eine "krasse Störung des Gleichgewichts" der Vertragspartner herbeiführen würde. Diese Voraussetzungen verneinte das Gericht wiederholt betreffend zu weit gefasste Rückzahlungsklauseln, Ausschlussfristen und Vertragsstrafen. Weitere Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass kein geeignetes dispositives Gesetzesrecht zur Lückenfüllung vorhanden ist. Daran fehlt es bei einer unwirksamen Ausschlussfrist; es greifen die Verjährungsregeln der §§ 195 ff. BGB. Anders ist dies im Falle der Unwirksamkeit der vertraglichen Arbeitszeitregelung. Eine gesetzliche Arbeitszeitvorgabe existiert nicht.
Rz. 209
Sind beide Voraussetzungen erfüllt, wird die Regelungslücke durch eine Rekonstruktion des hypothetischen Parteiwillens geschlossen. Es gilt dasjenige, dass die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen redlicherweise vereinbart hätten, wäre ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen. Anzulegen ist somit ein objektiv-generalisierender Maßstab. Zu fragen ist, welche Regelung dem Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise entsprechen würde; auf die konkrete Interessenlage der beteiligten Parteien kommt es dagegen nicht an. Im Gegensatz zu einer geltungserhaltenden Reduktion gilt also nicht das gerade noch zur Vermeidung der Unangemessenheit Zulässige. Herzustellen ist stattdessen ein den widerstrebenden Parteiinteressen gerecht werdender Ausgleich. Dieser Ausgleich ist innerhalb des durch den Vertrag selbst gezogenen Rahmens zu suchen. Das bedeutet zweierlei. Zum einen darf das Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung nicht im Widerspruch zu dem im Vertrag ausgedrückten Parteiwillen stehen. Zum anderen scheidet eine Lückenfüllung durch ergänzende Vertragsauslegung immer dann aus, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür fehlen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer berechtigten Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten.