Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 966
Der vorstehend skizzierte Nachteil einer kleinen Bezugnahmeklausel in Gestalt einer auch für die tarifgebundenen Arbeitnehmer eintretenden Entkopplung von der kraft Gesetzes maßgebenden tariflichen Situation hatte die ältere Rechtsprechung des BAG dadurch vermieden, indem sie eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel bei tarifgebundenen Arbeitgebern im Sinne einer Gleichstellungsabrede ausgelegt hatte. Trotz des auf eine zeitliche Dynamik abzielenden Wortlauts trat ein Verlust der Dynamik ein, wenn dies aufgrund des Tarifrechts der Fall war (Verbandsaustritt [§ 3 Abs. 3 TVG], Nachwirkung [§ 4 Abs. 5 TVG], Betriebsübergang [§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB]). Die Anpassung sollte selbst dann gelten, wenn ein anderer Tarifvertrag mit abweichendem Geltungsbereich kraft Tarifrechts anzuwenden war bzw. bei nichttarifgebundenen Erwerbern im Fall eines Betriebsübergangs eine tarifrechtliche Bindung an Tarifverträge vollständig entfiel. Diese Auslegung der kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel im Sinne einer Gleichstellungsabrede hat das BAG mit Urt. v. 18.4.2007 ausdrücklich aufgegeben, wendet diese jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes noch bei Bezugnahmeklauseln an, die vor dem 1.1.2002 vereinbart worden sind.
Rz. 967
Ein Vertrauensschutz entfällt, wenn die Vertragsparteien das Arbeitsverhältnis (z.B. infolge eines Betriebsübergangs) nach dem Stichtag auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt haben. Das gilt selbst dann, wenn die Arbeitsbedingungen des neuen Vertrages weitgehend mit denen eines vor dem Stichtag abgeschlossenen Vertrages übereinstimmen. Das BAG verlangt von den Parteien deshalb eine ausdrückliche Abrede, wenn es bezüglich einer in dem neuen Arbeitsvertrag aufgenommenen kleinen dynamischen Bezugnahme bei den für Altverträge maßgebenden Auslegungsgrundsätzen bleiben soll. Besonderer Sorgfalt bedarf es bei nach dem Stichtag vereinbarten Vertragsänderungen. Diese stellen die Auslegung einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel im Sinne einer Gleichstellungsabrede jedenfalls dann in Frage, wenn die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Parteien gemacht worden ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht nur der Fall, wenn der Änderungsvertrag selbst "die Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung zum Bestandteil der Vereinbarung" erhebt, sondern auch dann, wenn der Änderungsvertrag die Abrede enthält, dass "alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben". Bei der Änderung von sog. Altverträgen empfiehlt es sich deshalb – wenn es bei der Auslegung als Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung bleiben soll – die Abrede ausschließlich auf die geänderten Arbeitsbedingungen zu beschränken. Von einem Neuvertrag geht das BAG ferner dann aus, wenn ein vor dem Stichtag abgeschlossener Arbeitsvertrag nach dem Stichtag Gegenstand einer Änderungskündigung war und der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen hat; in diesm Fall geht das BAG davon aus, dass zwar eine Kontiuität des Arbeitsverhältnisses, aber eine Diskontinuität der Arbeitsverträge bestehe.
Rz. 968
Bei nach dem 1.1.2002 in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Bezugnahmeklauseln verlangt das BAG in seiner neueren Rechtsprechung ausdrückliche und insbesondere für den Arbeitnehmer erkennbare Anhaltspunkte in dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel, aus dem sich der Zweck einer Gleichstellung der nichttarifgebundenen Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern ergibt. Hierfür ist jedenfalls erforderlich, dass die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer im Sinne einer auflösenden Bedingung erkennbar ist und die Tarifverträge nur deshalb auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, solange und soweit der Arbeitgeber tarifgebunden ist (siehe Rdn 976).
Rz. 969
Eine derartige Formulierung der Bezugnahmeklausel bringt zwar die gewollte Gleichstellung mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern hinreichend deutlich zum Ausdruck, ist allerdings aufgrund ihrer Knappheit nicht vor Einwendungen abgeschirmt, die auf das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) gestützt werden (siehe Rdn 971). Vor allem aber erstreckt sich die Bezugnahme lediglich auf diejenigen Tarifverträge (in ihrer jeweiligen Fassung), die bei Abschluss des Arbeitsvertrages für die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Arbeitnehmer anzuwenden sind. Einen kraft Tarifrechts eintretenden Tarifwechsel erfasst eine Bezugnahmeklausel mit dem vorstehenden Inhalt nicht.
Rz. 970
Neben der Aufnahme einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel kann der Arbeitgeber einen Tarifwechsel angesichts der neueren Rechtsprechung des BAG nur dadurch erfassen, indem er eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel um eine Tarifwechselklausel ergänzt. Diese muss jedenfalls den auch für den Arbeitnehmer erkennbaren Willen zum Ausdruck bringen, dass es zu einem Tarifwechsel kommen kann und für diesen Fall die kraft des Tarifrechts in dem Betrieb gelte...