Martin Brock, Dr. Katja Francke
a) Allgemeines
Rz. 666
Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend für alle Arbeitnehmer des Betriebs, ausgenommen leitende Angestellte. Dies legt § 77 Abs. 4 BetrVG fest. Uneingeschränkt gilt dies für Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, welche die arbeitsvertragliche Position des jeweiligen Arbeitnehmers verbessern. Auch Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, welche Gegenstände betreffen, die der Arbeitsvertrag selbst nicht regelt, sind ohne weiteres auf die Arbeitsverhältnisse anwendbar. Für solche Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung bedarf es also keiner Öffnungsklausel im Arbeitsvertrag.
Rz. 667
Anders ist es, wenn eine Betriebsvereinbarung die arbeitsvertragliche Position der Arbeitnehmer verschlechtert. In einem solchen Fall gilt, sofern der Arbeitsvertrag oder die Betriebsvereinbarung dazu keine Regelung enthalten, erst einmal das Günstigkeitsprinzip. Es führt dazu, dass sich die Arbeitnehmer auf die – durch einen individuellen Günstigkeitsvergleich ermittelte – günstigere arbeitsvertragliche Position berufen können.
Allerdings ist früher beim Günstigkeitsprinzip noch zusätzlich differenziert worden: Arbeitsvertragliche Sozialleistungen, die auf einer betrieblichen Einheitsregelung beruhen, etwa auf einer Gesamtzusage oder betrieblichen Übung, können grundsätzlich durch eine spätere Betriebsvereinbarung geändert werden, wenn die Änderung bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist (kollektiver Günstigkeitsvergleich). Diese Fallgruppe für das (kollektive) Günstigkeitsprinzip hat sich inzwischen durch die aktuelle Rechtsprechung des BAG erledigt. Denn danach sind Leistungen mit kollektivem Bezug stets (konkludent) betriebsvereinbarungsoffen, können daher durch Betriebsvereinbarung verschlechtert werden:
Rz. 668
Das Günstigkeitsprinzip gilt nicht, wenn die betreffende vertragliche Position betriebsverinbarungsoffen ist. Dann kann sie von vornherein durch Betriebsvereinbarung verschlechtert werden. Dies kann der Fall sein bei Leistungen, die für die Arbeitnehmer erkennbar einen kollektiven Charakter aufweisen, wie häufig bei Gesamtzusage, betriebliche Einheitsregelung oder betriebliche Übung. Die betreffenden Leistungen sind dann konkludent betriebsvereinbarungsoffen. Darüber hinaus sollen nach Meinung der überwiegenden Senate des BAG sogar arbeitsvertragliche Ansprüche, die auf allgemeinen Arbeitsbedingungen beruhen, von vornherein betriebsvereinbarungsoffen sein und daher durch spätere Betriebsvereinbarungen auch zuungunsten der Arbeitnehmer abgeändert werden können. Das BAG formuliert in einer Entscheidung hierzu wie folgt: "Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Das kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen. Eine solche konkludente Vereinbarung ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat." Ob dieser Sichtweise zugestimmt werden kann, ist im Schrifttum stark umstritten. Mit dem AGB-rechtlichen Transparenzgebot dürfte sie jedenfalls nur schwer zu vereinbaren sein. Unabhängig von dogmatischen Bedenken bietet diese Rechtsprechung dem Arbeitgeber ein Flexibilisierungsinstrument, weches, wenn der Betriebsrat mitspielt, die eingeschränkten Möglichkeiten der individualvertraglichen Änderung von Arbeitsbedingungen auszugleichen vermag. Beispiel: Vereinheitlichun von Arbeitsbedingungen nach einem Betriebsübergang.
Rz. 669
Aufgrund der weitgehenden Rechtsprechung der mehrheitlichen Senate des BAG zur konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit braucht es eigentlich keiner ausdrücklichen Regelung dazu im Arbeitsvertrag. Eine solche Regelung ist aber ohne weiteres möglich. Sie ist auch sinnvoll, denn die betreffende Rechtsprechung des BAG ist, wie dargelegt, innerhalb der verschiedenen Senate und im Schrifttum stark umstritten. Allerdings muss eine solche Vertragskausel AGB-fest formuliert sein und insbesondere der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB und dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB genügen. Daher reicht eine bloße Bezugnahme auf die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen nicht aus. Vielmehr ist erforderlich, dass der Arbeitsvertrag gerade auch die mögliche Verschlechterung durch Betriebsvereinbarungen benennt. Ist diese Voraussetzung eingehalten, kann der Arbeitsvertrag generell betriebsvereinbarungsoffen gestaltet werden. Es ist also nicht erforderlich, dass die die betriebsvereinbarungsoffenen Regelungen des Arbeitsvertrags enumerativ aufgeführt sind. Jedochwird insofern auch ein strengerer Maßstab vertreten. Wer größtmögliche Sicherheit bevorzugt, legt daher ausdrücklich die vertraglichen Regelungen fest, welche betriebsvereinbarungsoffen sind.
Rz. 670
Ein informierter und verhandlungsstarker Arbeitnehmer kann auf einer Regelung bestehen, welche die...