Martin Brock, Dr. Katja Francke
a) Hintergrund
Rz. 777
In einer zunehmend flexiblen Arbeitswelt, in der sich Arbeitgeber häufig nicht mehr ausschließlich an einem Ort ansiedeln oder zumindest aufgrund der durch das Internet verbreiteten Vertriebswege ihre Kunden auch überregional bedienen, sind die meisten Arbeitgeber darauf angewiesen, dass die Arbeitnehmer Dienstreisen unternehmen. Von der Dienstreise zu unterscheiden ist der Weg von und zur Arbeitsstätte, der grundsätzlich Privatsache des Arbeitnehmers ist. Eine Dienstreise ist per definitionem eine Fahrt des Arbeitnehmers an einen oder mehrere auswärtige Orte, bei denen es sich nicht um die reguläre Arbeitsstätte handelt, an denen aber ein Dienstgeschäft zu erledigen ist. Unerheblich ist hierbei, ob der Arbeitnehmer die Dienstreise von seiner Wohnung aus oder vom Sitz des Arbeitgebers bzw. seiner sonstigen Arbeitsstätte aus antritt. Eine Dienstreise enthält typischerweise drei Phasen, nämlich die Reisezeiten (Hin- und Rückreise), die Zeit der Wahrnehmung des Dienstgeschäfts sowie etwaige nicht mit Dienstgeschäften ausgefüllte Zeiten am Zielort der Reise (z.B. Übernachtung).
Zur rechtlichen Beurteilung ist danach zu differenzieren, ob ein Arbeitnehmer überhaupt verpflichtet ist, eine Dienstreise zu unternehmen, wie die Zeit der Reise arbeitszeitrechtlich und vergütungsrechtlich zu behandeln ist und ob der Betriebsrat gegebenenfalls ein Mitbestimmungsrecht hat.
b) Rechtliche Grundlagen
aa) Verpflichtung zur Durchführung von Dienstreisen
Rz. 778
Arbeitnehmer sind selbst dann zur Durchführung von Dienstreisen verpflichtet, wenn der Arbeitsvertrag dies nicht ausdrücklich vorsieht. Der Arbeitgeber ist berechtigt, im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO die Durchführung einer Dienstreise anzuordnen. Denn angesichts der sich seit Jahren verstärkenden Entwicklungen im Wirtschaftsleben, die erhöhte Flexibilität fordert, ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich jeder Arbeitnehmer verpflichtet, im Rahmen der solchermaßen definierten Üblichkeit Dienstreisen zu unternehmen. Erst recht kann also eine Verpflichtung zur Ableistung von Dienstreisen in den Arbeitsvertrag ausdrücklich aufgenommen werden. Es handelt sich insoweit um eine Konkretisierung der ohnehin gegebenen Verpflichtungen des Arbeitnehmers und damit nicht um eine unbillige Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 1 BGB.
Rz. 779
Die konkrete Anordnung der Dienstreisen erfolgt durch den Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO. Diese Anordnung muss die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und im Übrigen verhältnismäßig sein (Ausübungsermessen). Etwaige in der Person des Arbeitnehmers liegende entgegenstehende Belange sind also genauso wie besondere Umstände des Einzelfalles, z.B. Betreuungspflichten etc. in die Interessensabwägung einzustellen.
bb) Vergütungspflicht
Rz. 780
Ordnet der Arbeitgeber an, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit an einem anderen Ort als dem Üblichen zu verrichten hat, so konkretisiert er hiermit gegenüber dem Arbeitnehmer die zu erbringenden Arbeitsleistung. Er legt fest, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Aufgabe außerhalb des normalen Arbeitsortes zu erbringen hat. Damit weist er ihn zugleich an, zum Zielort zu reisen und dort zu arbeiten. Schließlich trifft er auch eine zeitliche Bestimmung, indem er den voraussichtlichen Beginn und das voraussichtliche Ende des auswärtigen Dienstgeschäfts und damit zugleich mittelbar die Reisezeiten festlegt. Alleine aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ausübt, kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sämtliche Dienstreisezeiten auch vergütungspflichtig sind. Vielmehr ist zu differenzieren:
Rz. 781
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der üblichen Dienstzeit an, eine Reise von seinem Dienstort an einen anderen Ort zu unternehmen und dort ein Dienstgeschäft auszuführen, so ist die Reisezeit Arbeitszeit in dienstvertraglicher Hinsicht und somit vergütungspflichtig. Dabei sind nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, sondern auch die vom Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zum Wohnort mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt vergütungspflichtig.
Rz. 782
Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, seinen Dienst einen vollständigen Tag oder mehrere Tage an einem anderen vertraglich vorgsehenen Arbeitsort aus zu verrichten, liegt in der Anweisung, die Arbeit an einem anderen Ort als üblich aufzunehmen, eine Zuweisung einer abweichenden Arbeitsstätte gemäß § 106 GewO. Der Arbeitnehmer hat also den Weg von seiner Wohnung zu diesem auswärtigen Dienstort als Wegezeit zurück zu legen, soweit nicht im Arbeitsvertrag abweichende Regelungen getroffen sind, beispielsweise ein konkreter Arbeitsort festgelegt ist. Es handelt sich nicht um eine vergütung...