Martin Brock, Dr. Katja Francke
a) Allgemeines
Rz. 946
In Formulararbeitsverträgen entspricht es verbreiteter Praxis, für die zwischen den Parteien maßgebenden Arbeitsbedingungen ergänzend auf Tarifverträge Bezug zu nehmen. Zugleich erfüllt der Arbeitgeber mit der Aufnahme einer derartigen Klausel seine Pflicht aus § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG, in dem Arbeitsnachweis auf die für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifverträge hinzuweisen. Durch eine derartige Klausel entsteht keine Tarifgebundenheit im Sinne des Tarifrechts, sie bewirkt lediglich die schuldrechtliche Bindung der Parteien des Arbeitsvertrages an den Inhalt des Tarifvertrages; den auf diese Weise in Bezug genommenen Tarifnormen fehlt insbesondere die zwingende Wirkung für das Arbeitsverhältnis.
Rz. 947
Bezugnahmeklauseln führen nach ständiger Rechtsprechung des BAG stets zu einer konstitutiven Geltung des Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis. Das gilt auch, wenn dieser für die Parteien des Arbeitsvertrages kraft Tarifgebundenheit gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG oder wegen seiner Allgemeinverbindlichkeit (§ 5 Abs. 4 TVG) unmittelbar und zwingend gilt. In diesem Fall beruht die Geltung der Tarifbestimmungen für das Arbeitsverhältnis auf einer doppelten Rechtsgrundlage: Erstens kraft des Tarifrechts und zweitens als Vertragsrecht. Von Bedeutung ist dieser doppelte Geltungsgrund vor allem, wenn die kraft des Tarifrechts bestehende Bindung an den Tarifvertrag zu einem späteren Zeitpunkt entfällt (Verbandsaustritt, Betriebsinhaberwechsel). Die auf dem Vertragsrecht beruhende Bindung an den Tarifvertrag bleibt hiervon unberührt, sofern diese nicht mit der tarifrechtlichen Bindung im Sinne einer auflösenden Bedingung verknüpft ist.
b) Erscheinungsformen
Rz. 948
In inhaltlicher Hinsicht kann die Bezugnahme auf Tarifverträge in vielfältigen Varianten eingesetzt werden. Das gilt bereits für den Gegenstand des Bezugsobjekts. Denkbar ist die Verweisung sowohl im Hinblick auf einzelne Tarifverträge (z.B. einen Manteltarifvertrag) als aber auch auf ein Bündel von Tarifverträgen (Tarifwerk). In Betracht kommt zudem auch eine Beschränkung der Bezugnahme auf einzelne Vorschriften oder Abschnitte eines Tarifvertrages (z.B. Bemessung des bei Krankheit und Urlaub fort zu zahlenden Arbeitsentgelts, Kündigungsfristen). Ferner kann sich die Bezugnahme auf abgelaufene Tarifverträge erstrecken, was bedeutsam ist, wenn die Bezugnahmeklausel während des Stadiums der Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) in den Arbeitsvertrag für ein neu begründetes Arbeitsverhältnis aufgenommen werden soll.
Rz. 949
Problematisch ist vor allem die Dynamik der Bezugnahme, die in der neueren Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen thematisiert wird. Diese hat zwei Komponenten: Eine zeitliche und eine inhaltliche. In zeitlicher Hinsicht kann sich die Bezugnahme auf die Tarifverträge in einer bestimmten Fassung beschränken (statische Bezugnahme) oder aber auf deren jeweilige Fassung erstrecken, so dass spätere Änderungen des Tarifvertrages automatisch Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Ist eine derartige Dynamik gewollt, so kommen in inhaltlicher Hinsicht zwei Varianten in Betracht. Erstens die Benennung eines bestimmten fachlich und räumlich konkretisierten Tarifvertrages (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), zweitens eine auch in fachlicher Hinsicht offene Formulierung, die insbesondere spätere Veränderungen im Hinblick auf den für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag nachvollziehen soll (große dynamische Bezugnahme). Die letztgenannte Klausel kann bei nichttarifgebundenen Arbeitgebern bedeutsam sein, wenn in dem Arbeitsvertrag auf Verbandstarifverträge verwiesen wird und später die Anwendung eines Firmentarifvertrages in Frage steht. Entsprechendes gilt bei einer Betriebsveräußerung, wenn der Erwerber an einen anderen als den in Bezug ...