Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 1613
Das Arbeitnehmerschutzrecht kennt zahlreiche Bestimmungen, die das Entstehen von Rechten von einer Wartezeit abhängig machen, mithin von einem Mindestzeitraum, den ein Arbeitnehmer innerhalb des Arbeitsverhältnisses zurückgelegt haben muss. Das prominenteste Beispiel einer Wartezeit findet sich im Kündigungsschutzgesetz. Gem. § 1 Abs. 1 KSchG beträgt die Wartezeit bis zur Entstehung des allgemeinen Kündigungsschutzes sechs Monate, beginnend mit dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses, und endend mit Ablauf von sechs Monaten, auch wenn der letzte Tag auf einen Sonn- oder Feiertag fällt. Erst wenn das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, bedarf die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber der sozialen Rechtfertigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG.
aa) Erfüllung der Wartezeit
Rz. 1614
Auf die Wartezeit werden nur Zeiten angerechnet, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zurückgelegt werden, wobei nicht erforderlich ist, dass das Arbeitsverhältnis durchgehend deutschem Recht unterfallen ist. Zeiten, in denen der Arbeitnehmer außerhalb eines Arbeitsverhältnisses als Organvertreter, als freier Mitarbeiter, als Praktikant, als Leiharbeitnehmer oder im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungs- oder Eingliederungsmaßnahme (sog. Ein-Euro-Job) für den Arbeitgeber tätig geworden ist, werden daher nicht berücksichtigt. Zeiten einer vorangegangenen Berufsausbildung werden jedoch über den Gesetzeswortlaut hinaus auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG angerechnet, da die Berufsausbildung wegen § 10 Abs. 2 BBiG jedenfalls in diesem Zusammenhang einem Arbeitsverhältnis gleichzustellen ist.
Rz. 1615
Voraussetzung der Wartezeiterfüllung ist weiterhin ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis. Tatsächliche Unterbrechungen wie Krankheit, Urlaub oder Streik sind dabei allerdings nicht von Bedeutung; auch wenn der Arbeitgeber faktisch keine Möglichkeit zur Erprobung des Arbeitnehmers hatte, führt dies nicht zu einer Verlängerung der gesetzlichen Wartezeit. Entscheidend ist allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses, der auch in Fällen der Rechtsnachfolge etwa durch Betriebsübergang oder Verschmelzung erhalten bleibt. Wird das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet, beginnt der Lauf der Wartezeit mit einer späteren Wiedereinstellung von neuem.
Rz. 1616
Eine Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungszeiten bei rechtlicher Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses kommt im Rahmen des § 1 KSchG nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das neue Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht. Dabei kommt es insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung und auf die Art der Weiterbeschäftigung an. Schließt sich das zweite Arbeitsverhältnis ohne zeitliche Unterbrechung an, liegt ein sachlicher Zusammenhang grds. vor; je länger jedoch die zeitliche Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein. I.d.R. werden auch bei Vorliegen besonderer Umstände allenfalls kurzfristige Unterbrechungen von einigen Tagen bis zu wenigen Wochen für die Anrechnung einer früheren Beschäftigungszeit als unschädlich angesehen, wenn etwa im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang eine (rechtlich wirksame) Unterbrechung nur für die Dauer eines Wochenendes mit einem Arbeitgeberwechsel verbunden ist. Längere Unterbrechungen führen nur dann nicht zu einem Neubeginn der Wartezeit, wenn außergewöhnlich gewichtige Umstände einen sachlichen Zusammenhang begründen, wie dies etwa bei der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses eines Lehrers ausschließlich zur Überbrückung der Schulferien der Fall sein kann. Aber auch dann werden nur die vorangegangenen Beschäftigungszeiten, nicht aber die Dauer der Unterbrechung selbst auf die Wartezeit angerechnet.
Rz. 1617
Das Arbeitsverhältnis muss während der Wartezeit in demselben Betrieb oder Unternehmen bestanden haben. Der Wechsel in einen anderen Betrieb desselben Unternehmens innerhalb der Wartezeit ist daher für den Arbeitnehmer unschädlich. Der Wechsel in ein anderes Unternehmen des Arbeitgebers, denkbar etwa bei dem Wechsel eines Arbeitnehmers von dem Privathaushalt des Arbeitgebers in dessen Ladengeschäft, führt demgegenüber ebenso wie der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber zu einer Unterbrechung der Wartezeit, sofern nicht ausdrücklich oder konkludent eine Anrechnu...