Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 719
Im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Compliance ist eine sorgfältige Risikoanalyse erforderlich, die sowohl von der Branche als auch von den Besonderheiten des konkreten Unternehmens beeinflusst wird. Erst dann ist feststellbar, welche Regeln vom Unternehmen zu beachten sind. Bei allen arbeitsrechtlichen Compliancemaßnahmen ist insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu beachten, das seine Ausprägung im AGG findet. Wesentlich für ein wirksames Compliance Konzept ist zudem das Bestimmen klarer Zuständigkeiten und Kompetenzen, bis hin zur Ernennung eines verantwortlichen Compliance-Officers.
Die Implementierung neuer Verhaltensregeln als wesentlicher Bestandteil einer Compliance Struktur ist dabei besonders entscheidend. In diesem Zusammenhang ist besonders die Einführung von Ethik-/Verhaltensregeln (code of conduct) genau zu prüfen, ihre Rechtmäßigkeit kann problematisch sein. Hier bedarf es einer genauen Kontrolle der Regeln am Maßstab des individuellen Persönlichkeitsrechts. Zu weitgehend sind etwa Vorgaben, die ausschließlich den privaten Bereich des Arbeitnehmers betreffen, ohne sich im betrieblichen Bereich auszuwirken, denn das außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers ist den Weisungen des Arbeitgebers entzogen. Das gilt etwa für Klauseln, die Mitarbeitern eines Unternehmens allgemein verbieten, gemeinsam auszugehen oder private Liebesbeziehungen zu unterhalten. Anderseits besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers im Einzelfall zu entscheiden, ob Lebenspartner weisungsabhängig miteinander arbeiten sollen und er muss daher erfahren, ob eine solche Beziehung vorliegt. Erst recht gilt das im Verhältnis von Ausbilder zu Auszubildenden.
Zur nachhaltigen Implementierung von Compliance-Strukturen sind regelmäßige – und auch wiederholte – Schulungen unerlässlich. Das AGG kennt konkrete Schulungsvorgaben: nach § 12 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, Diskriminierungen proaktiv zu verhindern. Eine geeignete Schulung gilt nach § 12 Abs. 2 S. 2 AGG als Erfüllung dieser Pflicht.
Entscheidend für eine wirksame arbeitsrechtliche Compliance ist jedoch nicht nur deren Einführung, sondern die konsequente Überwachung, ob die Vorgaben eingehalten werden. Geeignet ist dazu die klassische Revision zur Prüfung von Geschäftsvorgängen. Die Revision sollte dabei sorgfältig dokumentiert werden, um sich gegen etwaige Vorwürfe struktureller Missstände wehren zu können. Ein weiteres Instrumentarium, um die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Compliance zu gewährleisten, ist ein internes Hinweisgeber-System (Whistleblowing-Hotline). Dabei handelt es sich regelmäßig um ein organisiertes System zur Meldung von Pflichtverletzungen und Regelverstößen. Mitarbeiter und ggf. externe Dritte werden zur Meldung von Verdachtsmomenten oder sonstigen Tatsachen zu Verstößen aufgefordert. Die Rechtmäßigkeit von Whistleblowing-Klauseln ist jedoch immer durch eine einzelfallbezogene Prüfung zu reflektieren. So ist eine generelle, jegliche – auch unwesentliche – Vorkommnisse betreffende Meldepflicht unverhältnismäßig. Es entspricht aber auch der Rechtsprechung des BAG, dass der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglichen Nebenpflichten zur Rücksichtnahme verpflichtet ist und den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb informieren muss, umso Schaden des Arbeitgebers zu verhindern. Deswegen dürften Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem konkreten Arbeits- und betrieblichen Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers stehen, in aller Regel rechtmäßig und deren Beantwortung dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Keinesfalls muss sich der Arbeitnehmer aber selbst bezichtigen, sonst müsste er Tatsachen liefern, die seine eigene Kündigung rechtfertigen könnten. Eine derartige arbeitsvertragliche Nebenpflicht existiert nicht. Dem steht jedoch nicht entgegen, dass bei einer Einstellung Fragen nach einem laufenden Ermittlungsverfahren zulässig sein können, wenn es den konkreten Arbeitsbereich des Bewerbers betrifft. Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem konkreten Arbeits- oder betrieblichen Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers stehen sind regelmäßig rechtmäßig. Hoch brisant in diesem Zusammenhang sind Fragen der Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz sowie die Kontrolle von E-Mails und Telefondaten. Grundsätzlich ist die Beachtung des Datenschutzes bei der Prüfung von elektronischen Daten von entscheidender Bedeutung (siehe Datenschutz Rdn 741 ff.).
Sehr komplexe Sachverhalte können zum Gegenstand einer umfassenden, unternehmensinternen Untersuchung (Internal Investigation) gemacht werden. Dabei werden häufig externe Dritte (Wirtschaftsprüfer/Anwälte) mit der Untersuchung betraut. Nach Ermittlung des Sachverhalts und bei Feststellung von Compliance Verstößen ist häufig über arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie Kündigungen und Schadensersatzforderungen (siehe Haftung Rdn 979 ff.) zu entscheiden.