Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 1696
Ein Arbeitnehmer darf die Öffentlichkeit grds. über Missstände im Unternehmen informieren, vor allem über Straftaten und sonstige Gesetzesverstöße (sog. externes Whistleblowing). Dies schließt eine Strafanzeige ebenso ein wie die Information der Medien. Klauseln im Arbeitsvertrag, die dies verbieten, verstoßen gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 5, 2 Abs. 1 GG und sind daher unwirksam. Gesetzlich hat ein solches externes Whistleblowing seinen Niederschlag etwa in § 17 Abs. 2 ArbSchG oder § 27 AGG gefunden.
Rz. 1697
Das Recht zur externen Meldung von Gesetzesverstößen besteht allerdings nicht grenzenlos. Die Bekanntmachung (vermeintlicher) Missstände kann unter Umständen sogar einen arbeitsrechtlichen Pflichtenverstoß darstellen, der den Arbeitgeber zur – ggf. fristlosen – Kündigung des Arbeitnehmers berechtigt. Die Rechtsprechung nimmt einen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers dann an, wenn sich die Offenbarung eines Missstandes als unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten darstellt. Insofern ist eine Interessenabwägung vorzunehmen: Das Interesse des Arbeitnehmers und der Öffentlichkeit an der Bekanntmachung eines Missstandes ist gegen den möglichen Reputationsverlust des Arbeitgebers und die damit einhergehenden finanziellen Konsequenzen abzuwägen. Wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben sind immer unverhältnismäßig. Das hat die Rechtsprechung für die Erstattung von Strafanzeigen entschieden. Nichts anderes gilt aber für die Information der Medien oder sonstiger Dritter. Auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratswahl darf ein Arbeitnehmer nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über digitale Medien verbreiten oder verbreiten lassen. Die Motivation des Arbeitnehmers ist ebenfalls von Bedeutung. Das Handeln in bloßer Schädigungsabsicht soll die Meldung rechtmissbräuchlich machen.
Rz. 1698
Ein Arbeitnehmer ist außerdem verpflichtet, eine zumutbare innerbetriebliche Meldung und Klärung des (vermeintlichen) Missstandes zu unternehmen, bevor er externe Dritte darüber informiert. Für den Spezialfall der unzureichenden Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit ist dies in § 17 Abs. 2 ArbSchG gesetzlich kodifiziert. Der Vorrang der innerbetrieblichen Klärung greift jedoch regelmäßig nicht, wenn es sich bei den dem Arbeitgeber zur Last gelegten Vorfällen um schwerwiegende Vorwürfe handelt bzw. Straftaten im Raum stehen, die vom Arbeitgeber selbst begangen worden sind. Das gleiche gilt, wenn Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist oder der Arbeitnehmer sich durch die Nichtanzeige der Straftaten selbst der Strafverfolgung aussetzen würde.