Martin Brock, Dr. Katja Francke
aa) Grundlagen und Grenzen des Direktionsrechts
Rz. 1562
Nach § 106 GewO ist der Arbeitgeber berechtigt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, soweit seine Befugnisse nicht durch den Einzelvertrag oder durch kollektivrechtliche Vorschriften beschränkt sind. Die Reichweite des Direktionsrechts hängt von den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und einer etwaigen Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses ab; je konkreter Art und/oder Ort der Arbeitsleistung festgelegt sind bzw. qua tatsächlicher Ausübung konkretisiert wurden, umso geringer ist der Spielraum des Arbeitgebers. Allein aufgrund langjähriger Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem bestimmten Arbeitsplatz tritt jedoch noch keine Konkretisierung ein.
bb) Ausübung des Weisungsrechts im Einzelfall: Ausübungskontrolle
Rz. 1563
Das Direktionsrecht wird im Einzelfall durch die einseitige Anordnung eines Arbeitsplatzwechsels (Versetzung) ausgeübt. Die geforderte Leistung muss genau angegeben werden, und die Ausübung des Direktionsrechts muss billigem Ermessen entsprechen.
Rz. 1564
Zur Wirksamkeit muss die Versetzungsanordnung zunächst hinreichend konkret sein. Aus der aus dem Wesen der Leistungsbestimmung (§§ 315 bis 319 BGB) abgeleiteten Beurteilung folgt, dass bei der Ausübung des Bestimmungsrechts die geforderte Leistung genau angegeben werden muss. Dies gilt auch für die Ausübung des Versetzungsrechts. Die im Wege der Versetzung neu zugewiesenen Aufgaben, Befugnisse und Verantwortlichkeiten sowie Berichtswege müssen mit hinreichender Bestimmtheit dargestellt sein. Der Arbeitnehmer muss einfach und eindeutig erkennen können, wie er nach der Versetzung beschäftigt werden soll.
Rz. 1565
Die Versetzungsanordnung muss billigem Ermessen entsprechen (§ 106 GewO, § 315 BGB). Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Versetzung ist abzuwägen gegen das Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsort bzw. in der bisherigen Position. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB).
In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen; hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.
Der Arbeitgeber hat auf schutzwürdige familiäre Belange (etwa Kindesbetreuung) des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, soweit nicht betriebliche Gründe oder ebenfalls schutzwürdige Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Bei der Ausübungskontrolle ist auch zu berücksichtigen, ob und welches konkrete unternehmerische Konzept die Versetzung bedingt hat. Erfordert die Versetzungsentscheidung eine personale Auswahl, sind die für die soziale Auswahl bei Kündigung geltenden Regeln grundsätzlich nicht anzuwenden. Jedoch kann etwa eine Betriebsvereinbarung vorsehen, dass die Auswahl der aufgrund einer Betriebsabteilungsverlegung zu versetzenden Arbeitnehmer nach den Gesichtspunkten der sozialen Auswahl erfolgt, und dass für diese Auswahl ein sog. Punkteschema ausschlaggebend sein soll.
Der Arbeitgeber muss außerdem Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsort und Arbeitsplatz prüfen und diese in die Abwägung der wechselseitigen Interessen mit einbeziehen.
Rz. 1566
Unbillig (und damit unwirksam) ist eine Versetzungsanordnung dort, wo sie gegen Grundrechte des Arbeitnehmers oder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, die zu einer unzulässigen Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals (ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) führt, sowie eine Versetzung aus missbilligenswerten Motiven, zu disziplinarischen Zielen oder zur Maßregelung entgegen § 612a BGB.
Unbillig ist auch eine Versetzung auf einen geringerwertigen, d.h. nach Tätigkeits- oder Berufsbild in der Sozialanschauung geringer bewerteten Arbeitsplatz, selbst wenn dem Arbeitnehmer dort die bisherige Vergütung fortgezahlt werden soll.
Rz. 1567
Eine Versetzung, um Spannungen zwischen Arbeitnehmern zu begegnen, entspricht regelmäßig dem billigen Ermessen. Der Arbeitgeber muss bei Ausübung seines Direktionsrechts auch nicht stets das "mildeste Mittel" anwenden, etwa die Abmahnung des "Störenfrieds" statt seiner Versetzung.
Rz. 1568
Weisungen, die sich nicht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben halten, sind unwirksam, § 134 BGB. Der Arbeitnehmer braucht diese nicht zu befolgen.
Rz. 1569
Hinweis
Die sozialrechtlichen Regeln über die Zumutbarkeit ein...