Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 890
Ohne Weiteres zulässig sind Freistellungsklauseln zugunsten des Arbeitnehmers, die dem Arbeitnehmer einen über seine gesetzlichen bzw. kollektivrechtlichen Rechte hinausgehenden Anspruch auf entgeltliche oder unentgeltliche Freistellung gewähren. Problematisch ist dagegen die AGB-rechtliche Zulässigkeit von Freistellungsklauseln zulasten des Arbeitnehmers, d.h. von Abreden, die dem Arbeitgeber ein einseitiges Freistellungsrecht einräumen. Formularvertragliche, unentgeltliche Freistellungsklauseln wird man als generell unzulässig anzusehen haben; sie sind für den Arbeitnehmer wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Synallagma unzumutbar (§ 308 Nr. 4 BGB).
Im ungekündigten Arbeitsverhältnis ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer nicht nur eine Pflicht zur vertragsgemäßen Leistung hat, sondern auch ein Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung. Dieser Anspruch ist zwar durch individuelle Parteivereinbarung abdingbar; gleichzeitig kommt ihm aber innerhalb des Arbeitsverhältnisses eine gesteigerte Bedeutung zu. Das BAG sieht die Beschäftigungspflicht im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verankert (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es betont, dass die tatsächliche Beschäftigung das Selbstwertgefühl sowie die Achtung und Wertschätzung des Arbeitnehmers wesentlich mitbestimmt. Dem entspricht es, dass die Rechtsprechung dem Arbeitgeber ein Recht auf Freistellung ohne vertragliche Vereinbarung nur zubilligt, wenn er sich auf überwiegende schützenswerte Interessen berufen kann. Diese Rechtslage ändert sich im gekündigten Arbeitsverhältnis. Ist eine Kündigungsschutzklage anhängig, über die bei Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht rechtskräftig entschieden ist, steht dem Arbeitnehmer ein vorläufiger, sog. allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch nur bei offensichtlich unwirksamer Kündigung oder bei Obsiegen in erster Instanz zu. Unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG besteht ferner ein besonderer, betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss der Kündigungsschutzklage.
Rz. 891
Diese Rechtsprechung ist im Rahmen der nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB durchzuführenden Interessenabwägung zu beachten. Eine formularvertragliche voraussetzungslose Freistellungsmöglichkeit ist mit der grundrechtlichen Fundierung des Beschäftigungsanspruchs nicht vereinbar; sie benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen. Daraus darf man allerdings nicht den Schluss ziehen, dass Freistellungsklauseln in Formulararbeitsverträgen generell unzulässig sind. Das wäre mit der Abdingbarkeit des Beschäftigungsanspruchs (vgl. Rdn 890) nicht vereinbar. Zudem wäre es widersprüchlich, die einvernehmliche, wenn auch in AGB vorformulierte Freistellungsoption strengeren Maßstäben zu unterwerfen als das einseitige Freistellungsrecht des Arbeitgebers. Deshalb ist ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse an der Freistellung in Gestalt eines sachlichen oder wichtigen Grundes notwendig, aber auch hinreichend. Umstritten ist, ob ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse generell bei einer Freistellung "für den Fall der Kündigung" gegeben ist. Bis zur endgültigen Klärung durch das BAG sollte in der Freistellungsklausel deshalb nicht an eine Kündigung als alleinigen Freistellungstatbestand angeknüpft werden. Stattdessen empfiehlt es sich, die "nicht offensichtlich unwirksame Kündigung" als eine mögliche Konkretisierung des sachlichen Grundes mit in den Klauseltext aufzunehmen. Problematisch sind ferner Freistellungen nach Ablauf der Kündigungsfrist. Bisweilen wird in Freistellungsklauseln, die sich auf den betriebsverfassungsrechtlichen bzw. allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch erstrecken, ohne Weiteres eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers erblickt. Dieser Befund erscheint insoweit nicht stimmig, als er zur Folge hätte, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch ein höheres Gewicht als der Beschäftigungsanspruch erhielte; ein Arbeitnehmer wäre mit anderen Worten im gekündigten Arbeitsverhältnis stärker geschützt als im ungekündigten. Der Umstand, dass die Weiterbeschäftigungsansprüche materiell Teil des Kündigungsschutzes sind, ändert daran nichts.
Rz. 892
Die Freistellung selbst darf im Einzelfall überdies nicht maßregelnd i.S.d. § 612a BGB sein, d.h. sie darf nicht als Reaktion auf ein vom Arbeitgeber missbilligtes rechtmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers erfolgen. Zu beachten ist ferner, dass die Freistellung der Ausübungskontrolle nach § 315 BGB unterliegt.