Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 532
Im Zusammenhang mit der Begründung von Arbeitsverhältnissen wünschen Arbeitgeber Einstellungsuntersuchungen häufig auch jenseits gesetzlicher oder tarifvertraglicher Untersuchungspflichten. Dem Bewerber auf eine Stelle steht es vollkommen frei, ob er sich einer ärztlichen Einstellungsuntersuchung unterzieht oder nicht. Aus diesem Grund können hier keine rechtlichen Verpflichtungen abgeleitet werden, welche z.B. zu einem Schadenersatz führen können. Solche Untersuchungen setzen daher das Einverständnis des Bewerbers voraus. Das Freiwilligkeitserfordernis wird allerdings in der Praxis stark relativiert, weil eine Verweigerung der Gesundheitsuntersuchung wohl regelmäßig den Misserfolg des Bewerbungsverfahrens nach sich ziehen dürfte.
Rz. 533
Seit Inkrafttreten der DSGVO und des BDSG unterfallen auch die die durch den Arbeitgeber gesammelten gesundheitsrechtichen Daten grundsätzlich dem Erlaubnistatbestand des § 26 Abs. 1 BDSG, wonach Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden dürfen, sofern diese für das Beschäftigungsverhältnis erfoderlich sind (vgl. Rdn 93, 122). Daneben ist zu beachten, dass es sich bei Gesundheitsdaten einer Person um die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten handelt, die durch Art. 9 DSGVO besonders strengen Anforderungen unterliegen. Danach ist die Verarbeitung nur zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsschutz, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und nicht ersichtlich ist, dass das Interesse der betroffenen Person dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.
Einstellungsuntersuchungen sind damit grundsätzlich zulässig, sofern der Arbeitgeber seine Einstellungsentscheidung aufgrund eines berechtigten Interesses von der gesundheitlichen bzw. körperlichen Eignung abhängig macht. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer gesundheitlichen Untersuchung des Bewerbers setzt aber voraus, dass die Untersuchung sich an den Anforderungen des Arbeitsplatzes orientiert und dass die Untersuchung von einem fachlich qualifizierten Arzt vorgenommen wird.
Für das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an Untersuchungen sind insbesondere die Grundsätze zur Frage nach einer Krankheit oder Körperbehinderung heranzuziehen. Erweist sich eine Krankheit als Behinderung, was häufig der Fall sein kann, darf der Bewerber deshalb nur dann abgelehnt werden, wenn ihm damit gleichzeitig eine wesentliche und entscheidende Eigenschaft für die bezweckte Tätigkeit fehlt (vgl. § 8 AGG).
Rz. 534
Mit der Einwilligung in die Untersuchung entbindet der Bewerber den Arzt stillschweigend von der Schweigepflicht. Eine ausdrückliche Regelung empfiehlt sich aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl. Da die Untersuchung allerdings zweckgebunden ist, unterliegt der Arzt weiterhin seiner Schweigepflicht hinsichtlich solcher Umstände, die die Tauglichkeit des Probanden für den jeweiligen Arbeitsplatz nicht betreffen. Diesbezügliche Erkenntnisse darf der Arzt nicht an den Arbeitgeber weitergeben. Welche gesundheitlichen Anforderungen der zu besetzende Arbeitsplatz stellt, beurteilt der mit der Untersuchung befasste Arzt. Es empfiehlt sich aus Arbeitgebersicht, den Arzt hinreichend über den vorgesehenen Einsatz zu informieren.
Rz. 535
Problematisch sind Einstellungsuntersuchungen immer dann, wenn Erkenntnisse aus dem geschützten Privatbereich des Bewerbers verfügbar gemacht werden, wie z.B. zu Behinderungen, dem Umgang mit Alkohol, Drogen und Tabak, oder zum Bestand einer Schwangerschaft. Informationen über eine Schwangerschaft gehen den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an. Diesbezügliche Fragen – und natürlich erst recht ärztliche Untersuchungsergebnisse – sind für den Arbeitgeber in allen erdenklichen Konstellationen tabu. Das gilt nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann, wenn der Bewerberin die Aufnahme der Tätigkeit wegen der Schutzvorschriften des MuSchG gar nicht oder nur kurzfristig möglich ist.
Rz. 536
Erhebliche Unsicherheiten bestehen seit Inkrafttreten des AGG, weil das Benachteiligungsmerkmal der Behinderung nicht sauber von einer bloßen Erkrankung zu trennen ist. Zwar entwickelte der EuGH eine abgrenzende Definition, sieht aber dennoch in der Entscheidung vom 11.7.2006 Überschneidungsbereiche, in denen eine Erkrankung, besonders bei langer Dauer, gleichzeitig eine Behinderung darstellen kann. Die vom EuGH entwickelte und mit der Entscheidung vom 11.4.2013 konkretisierte Definition ist zudem nicht deckungsgleich mit der Definition des Bundesarbeitsgerichts.
Da Arbeitgeber Schwerbehinderte nicht benachteiligen dürfen (§ 164 Abs. 2 SGB IX) ist jede Erkenntnis über eine Behinderung grundsätzlich geeignet, einer verbotenen Benachteiligung auch im Sinne des AGG Vorschub zu leisten. Im neueren Schrifttum wird daher schon die bloße Frage nach einer Behinderung unter Hinweis auf § 164 Abs. 2 SGB I...