Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 935
Nicht strafrechtswürdig und damit grundsätzlich nicht verboten ist die Annahme von üblichen Trinkgeldern oder kleinen Geschenken zum Zeichen der Verbundenheit (z.B. anlässlich Weihnachten oder Neujahr). Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung um in der Wirtschaft übliche Gelegenheitsgeschenke (z.B. Kugelschreiber, Kalender, Feuerzeuge oder auch die Einladung zu einem bürgerlichen Mittagessen) mit denen kein Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter genommen werde. Das Trinkgeld darf nach Umfang und Zweckbestimmung nicht den Charakter eines Schmiergeldes haben. Das BAG sah die Grenze zum Schmiergeld jedenfalls als überschritten an bei einer zehnmaligen Zahlung von jeweils 100 DM innerhalb von vier Jahren. Gleichwohl bleibt die Abgrenzung schwierig, denn objektive Wertobergrenzen existieren nicht.
Rz. 936
Anhaltspunkte für eine Bagatellgrenze könnten z.B. aus dem EStG übernommen werden. Als steuerrechtlich irrelevant behandelt werden Geschenke an Dritte im Wert von bis zu 35 EUR (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG) bzw. Aufmerksamkeiten an Arbeitnehmer bis zu 40 EUR (§ 19 Abs. 1 EStG i.V.m. LStR R 73). Die Finanzverwaltung sieht hierin aber keine strikte Freigrenze, sondern nur einen Anhaltspunkt für die Beurteilung des Charakters der Zuwendung (Nichtbeanstandungsgrenze). Neben dem Wert sind weitere Umstände, wie Anlass und Rahmen, aber auch der Gegenstand der Zuwendung zu würdigen.
Rz. 937
In unternehmensinternen Ethikrichtlinien, die zur Förderung moralisch integrer Verhaltensweisen im Wirtschaftsleben zunehmend eingeführt werden, finden sich – falls die Geschenkannahme dort nicht vollständig untersagt wird – Wertobergrenzen zwischen 30 EUR und 100 EUR.
Rz. 938
Betriebsratsmitgliedern ist in Ausübung ihrer Tätigkeit die Annahme jedweder Geschenke verboten, weil dies den Tatbestand einer unzulässigen Begünstigung i.S.v. § 78 BetrVG erfüllt. Das gilt sowohl für Geschenke des Arbeitgebers als auch von dritter Seite. Aus Gründen der Vorsicht sollten Betriebsratsmitglieder jeden bösen Anschein vermeiden und Geschenke ausnahmslos zurückweisen.
Rz. 939
Trinkgelder sind im Dienstleistungsgewerbe (z.B. Gaststätten, Taxi, Friseur) üblich, während deren Annahme bei Behörden oder öffentlich-rechtlich Beliehenen (z.B. TÜV) pflichtwidrig ist. Ein Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung einem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt, § 107 Abs. 3 S. 2 GewO. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, von Dritten erlangte Geldbeträge, die von dem Dritten erkennbar mit der Zweckbestimmung als Trinkgeld überlassen werden, an die begünstigten Arbeitnehmer weiterzuleiten. Ist den Arbeitnehmern die genaue Höhe der Trinkgeldeinnahmen nicht bekannt, ist der Arbeitgeber zur Auskunft verpflichtet.
Trinkgelder gehören arbeitsrechtlich nicht zum Arbeitsverdienst, weil auf sie i.d.R. mangels arbeitsvertraglicher Vereinbarung kein Anspruch besteht. Trinkgelder stellen vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Vereinbarungen keinen Teil des Arbeitsentgelts in Form eines Sachbezugs dar. Arbeitnehmer können solche Trinkgelder ohne Anrechnung auf den Mindestlohn steuerfrei (§ 3 Nr. 51 EStG) entgegennehmen.
Dagegen können Trinkgelder aufgrund einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung in den Grenzen des § 107 Abs. 2 GewO Teil des Arbeitsverdienstes werden und sind dann wie Sachbezüge zu behandeln. Allerdings kann die Zahlung eines regelmäßigen Arbeitsentgelts bzw. des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns wegen des Trinkgeldes nicht ausgeschlossen werden (§ 107 Abs. 3 S. 1 GewO). Die vollständige Anrechnung des Arbeitsverdienstes ist damit nicht zulässig. Besteht ein Anspruch auf eine tarifliche Vergütung, so bleibt das Trinkgeld als freiwillige Zuwendung insoweit immer unberücksichtigt, d.h. eine tarifliche Mindestvergütung kann weder ganz noch teilweise mit dem zu erwartenden oder erzielten Trinkgeld verrechnet werden, sondern muss ungekürzt ausgezahlt werden. Demgegenüber dürfte die Anrechnung des Trinkgeldes auf den gesetzlichen Mindestlohn zulässig sein. Anders gewendet: Zulässig ist demnach eine Vertragsgestaltung, wonach Trinkgelder ganz oder teilweise auf das Festgehalt angerechnet werden können, solange nicht in tarifliche Mindestlöhne eingegriffen wird. Ein vollständiger Gehaltsausschluss, den § 107 Abs. 3 GewO untersagt, ist mit einer solchen Anrechnungsregel jedenfalls nicht verbunden. Da das Trinkgeld in diesen Fällen vertraglicher Vergütungsbestandteil ist, ist der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zur Auskunft über die Höhe der erhaltenen Trinkgelder verpflichtet.
Rz. 940
Werden Geschenkannahmeverbote kollektivrechtlich in Ethikrichtlinien und Verhaltenskodices geregelt, so ist kaum noch umstritten, inwieweit deren Einführung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unterliegt. Das LAG Düsseldorf stellte in seiner Wal-Mart-Entscheidung vom 14.11.2005 darauf a...