Martin Brock, Dr. Katja Francke
aa) Allgemeines
Rz. 1736
Das jedem Vertragsteil zustehende Zurückbehaltungsrecht kann kraft Gesetzes, aufgrund vertraglicher Vereinbarung (vorbehaltlich § 309 Nr. 2 BGB), wegen der Rechtsnatur des Schuldverhältnisses oder nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein. Außerdem ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber teilweise geleistet hat und wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils die Verweigerung der eigenen Leistung gegen Treu und Glauben verstoßen würde, vgl. § 320 Abs. 2 BGB.
bb) Einzelfälle
Rz. 1737
Für den Arbeitgeber besteht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Zurückbehaltungsrecht an den Arbeitspapieren des Arbeitnehmers, wie Lohnsteuerkarte, Sozialversicherungspapiere sowie Entlassungsbescheinigung. Teilweise ist der Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts ausdrücklich geregelt (§ 312 SGB III, §§ 39b, 41b EStG). Im Übrigen ergibt sich das Verbot der Zurückbehaltung daraus, dass es bei den Arbeitspapieren um die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten geht, und der Arbeitnehmer diese zur Arbeitssuche und Arbeitsvermittlung regelmäßig benötigt.
Ebenso wenig besteht für den Arbeitgeber ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, § 109 GewO. Dem Arbeitgeber steht kein Zurückbehaltungsrecht wegen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu, da eine Zurückbehaltung dem Zweck des Zeugnisanspruchs und den Fürsorgeverpflichtungen des Arbeitgebers zuwiderlaufen würde; darüber hinaus würde der Arbeitnehmer durch ein ausgeübtes Zurückbehaltungsrecht in unverhältnismäßiger Weise bei der Stellensuche beeinträchtigt.
Rz. 1738
Umgekehrt steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich kein Zurückbehaltungsrecht nach § 1273 BGB an Arbeitsmitteln zu, also an Gegenständen, die ihm vom Arbeitgeber zur dienstlichen Nutzung überlassen wurden, etwa Werkzeuge, Laptop, Mobiltelefon, Geschäftsunterlagen, Schlüssel zu den Betriebsanlagen etc. An Arbeitsmitteln und -geräten hat der Arbeitnehmer regelmäßig kein eigenes Besitzrecht gemäß § 872 BGB, sondern er besitzt nur für den Arbeitgeber, ist also Besitzdiener nach § 855 BGB. Als Besitzdiener hat er den Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten, insbesondere die Sachen auf Anforderung herauszugeben; mangels eigener Rechtsposition kann er die überlassenen Gegenstände nicht zurückbehalten. Verweigert der Arbeitnehmer die Herausgabe, so verschafft er sich durch verbotene Eigenmacht rechtswidrigen Fremdbesitz, § 858 Abs. 1 BGB. Ist der Arbeitnehmer unrechtmäßiger Fremdbesitzer geworden, schuldet er Nutzungsentschädigung nach den sachenrechtlichen Vorschriften der §§ 987 ff. BGB, bei Nachweis eines Schadens sogar auf Schadensersatz.
Rz. 1739
Im Einzelfall kann der Arbeitnehmer jedoch auch selbst Besitz an einer Sache innehaben (Eigenbesitz). Das gilt insbesondere für einen Dienstwagen, der dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen wurde. Er ist dann gegenüber dem Arbeitgeber zum Besitz berechtigt, § 868 BGB. Folglich steht ihm auch ein Zurückbehaltungsrecht zu.
Rz. 1740
Im Übrigen ist bei Ausübung des Zurückbehaltungsrechts der Grundsatz von Treu und Glauben zu berücksichtigen, § 242 BGB. So darf z.B. ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleitung bei Nichtzahlung von Arbeitsentgelt nicht verweigern, wenn der Lohnrückstand verhältnismäßig gering ist, nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist, wenn dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig hoher Schaden droht oder wenn der Vergütungsanspruch auf andere Weise gesichert ist (z.B. durch Bürgschaft). Eine "anderweitige Sicherung des Arbeitnehmers" kann die Verweigerung der Arbeitsleistung als treuwidrig erscheinen lassen, jedenfalls dann, wenn sie vorhanden ist. Das Inaussichtstellen von Insolvenzgeld vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt jedoch keine ausreichende Sicherung in diesem Sinne dar.
Rz. 1741
Um ein Leerlaufen des Pfändungsschutzes zu verhindern, soll bei Ansprüchen des Arbeitgebers in entsprechender Anwendung des § 394 BGB die Zurückbehaltung des Arbeitsentgelts nur bis zur Pfändungsgrenze erfolgen können. Ist der Anspruch des Arbeitgebers nicht auf Geld, sondern auf Herausgabe von Werkzeugen oder anderen Arbeitsmitteln/Gegenständen gerichtet, kann ein Zurückbehaltungsrecht nur ausgeübt werden, soweit auch eine Aufrechnung möglich wäre. So kann der Arbeitgeber wegen seiner Rückgabeansprüche bezüglich Werkzeugs etc. nur den pfändbaren Teil des Arbeitslohns zurückhalten. Ein weitergehendes Zurückbehaltungsrecht kommt nur bei verbotener Eigenmacht oder strafbarer Handlung des Arbeitnehmers in Betracht.