Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 873
Die Einhaltung der Anforderungen des § 308 Nr. 5 BGB an eine formularmäßige Erklärungsfiktion führt allerdings nicht dazu, dass die betreffende Klausel keiner weitergehenden Inhaltskontrolle mehr unterliegt. Insbesondere die inhaltliche Angemessenheit gem. § 307 BGB bedarf der Überprüfung; Regelungen, die aufgrund ihrer inhaltlichen Unangemessenheit formularmäßig nicht wirksam vereinbart werden können, lassen sich auch nicht im Wege der Erklärungsfiktion in den Vertrag einbeziehen.
Rz. 874
Erforderlich ist deshalb, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Vereinbarung einer Erklärungsfiktion hat. Im Zivilrecht wird ein solches Interesse insbesondere im Bereich der Massenverwaltung bejaht. Ein vergleichbares Interesse ist auch im Arbeitsrecht anzuerkennen, wenn etwa der Arbeitgeber im Wege der Erklärungsfiktion neue Arbeitsbedingungen für eine größere Zahl von Arbeitnehmern umsetzen will; in diesem Fall entspringt die Erklärungsfiktion angesichts der Vielzahl der zu behandelnden Fälle einem berechtigten organisatorischen Bedürfnis, diese durch Fiktionen möglichst einfach zu bewältigen. Zwar ist in der zivilrechtlichen Rechtsprechung angenommen worden, dass es eine unangemessene Benachteiligung darstelle, wenn eine zum Vertragsschluss notwendige Willenserklärung durch eine Fiktion ersetzt werde; dies kann jedoch im Rahmen des auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnisses, bei dem wegen der Ungewissheit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses ein Bedürfnis nach Anpassung an geänderte Bedingungen anerkannt ist, zumindest dann nicht gelten, wenn es nicht um den erstmaligen Vertragsabschluss, sondern um eine inhaltliche Änderung geht. Auch bei der Vereinbarung einer Anerkennungsfiktion für Abmahnungen dürfte ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers anzuerkennen sein. Sie gewährleistet Rechtssicherheit über die für beide Vertragsparteien erhebliche Frage der Berechtigung der arbeitsrechtlichen Sanktion, die für den Arbeitgeber auf andere Weise nicht erreichbar ist, da der Anspruch auf Entfernung der Abmahnung nicht von vertraglichen Ausschlussfristen erfasst wird und der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung berechtigt ist, die Abmahnung auch erst im Zusammenhang mit einer später erklärten Kündigung in Frage zu stellen.
Rz. 875
Soweit mit der Erklärungsfiktion eine Änderung der Vergütungsstruktur herbeigeführt werden soll, ist die inhaltliche Angemessenheit besonders eingehend zu prüfen. Da die arbeitgeberseitig vorgesehene Änderung jedoch nicht einseitig, sondern mit dem (wenn auch ggf. fingierten) Einverständnis des Arbeitnehmers zustande kommt, dürfen an solche Vereinbarungen allerdings nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an die Vereinbarung eines Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalts (vgl. hierzu Rdn 1703 ff.); Letztere müssen einer strengeren Inhaltskontrolle unterliegen, da sich der Arbeitnehmer gegen die Änderung auch durch ausdrücklichen Widerspruch nicht wehren kann.
Rz. 876
Schließlich ist auch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten. Dessen Einhaltung kann insbesondere bei der zweiten Variante der Musterformulierung zweifelhaft sein, da diese jeden denkbaren Fall möglicher Vertragsänderungen erfasst. Der Arbeitnehmer kann sich in diesem Fall nicht von vornherein auf etwaige Änderungen einstellen. Allerdings wird er durch den gesonderten Hinweis auf die Rechtsfolgen vor einer möglichen Überrumpelung in ausreichendem Maße geschützt. Die Klausel zeichnet letztlich die Situation nach, in der der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein (nachteiliges) Vertragsangebot unterbreitet. In diesen Fällen ist anerkannt, dass, sofern sich die Änderung unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, in der widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers eine stillschweigende Annahmeerklärung gem. § 151 BGB liegen kann, da er aufgrund der Änderung Anlass hätte, dieser sofort zu widersprechen. Die Klausel ist damit jedenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des auf längere Dauer angelegten Arbeitsverhältnisses gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB ebenfalls anzuerkennen.