Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 1513
Der Begriff des Whistleblowings beschreibt im weiteren Sinne das Szenario, in dem ein Arbeitnehmer auf Rechtsverstöße, Straftaten oder sonstige Missstände innerhalb des Unternehmens hinweist bzw. diese aufdeckt. Dies kann entweder nur gegenüber dem Arbeitgeber innerhalb des Unternehmens erfolgen (internes Whistleblowing) und durchaus erwünscht sein. Nicht selten stellen Arbeitgeber interne Meldesysteme, die anonyme Mitteilungen ermöglichen sollen. Der Hinweis kann sich aber auch nach außen richten und Behörden oder die Öffentlichkeit erreichen (externes Whistleblowing). Für Arbeitgeber drohen hierdurch straf- oder ordnungsbehördliche Ermittlungsverfahren sowie öffentlichkeitswirksame Skandale, die sich existenzgefährdend auswirken können.
Im Fall des externen Whistleblowings besteht ein Spannungsfeld zwischen der arbeitsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht und einem öffentlichen Informationsinteresse sowie meist auch dem Willen des betroffenen Mitarbeiters, sich gewissenskonform zu verhalten. Die arbeitsrechtliche Zulässigkeit des externen Whistleblowings hängt von mehreren Faktoren ab, die innerhalb einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sind.
Diese Abwägung ist insbesondere im Hinblick auf den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers relevant. Besteht kein überwiegendes Interesse an der Offenbarung der Information stellt deren Kundgabe grundsätzliche eine erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Treue- und Loyalitätspflicht dar. Mithin liegt dann regelmäßig ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor.
Rz. 1514
Bei einer rechtswidrigen oder strafbaren Handlung des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nur dann berechtigt, Strafanzeige zu erstatten oder ein behördliches Verfahren (z.B. beim Finanzamt, Aufsichtsämtern etc.) einzuleiten, wenn er vorher eine innerbetriebliche Klärung versucht hat. Dieser Grundsatz drückt sich auch in § 17 Abs. 2 ArbSchG aus. Eine "verfrühte" Strafanzeige kann – unter Berücksichtigung der besonderen Pflichtenkollision – einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Etwas anderes gilt bei schweren Straftaten oder wenn sich die strafbare oder ordnungswidrige Handlung gegen den Arbeitnehmer selbst richtet.
Rz. 1515
Berechtigte (Straf-)Anzeigen sind jedenfalls nicht von der Pflicht zur Geheimhaltung erfasst. Hat der Arbeitgeber Kenntnis von den Missständen erlangt und sorgt nicht unverzüglich für Abhilfe, besitzt er kein schützenswertes Vertrauen mehr in die Verschwiegenheit des Arbeitnehmers. Letztlich statuiert auch die arbeitsrechtliche Treuepflicht keine absolute Verschwiegenheitspflicht, sondern erfordert eine Abwägung der berechtigten Interessen beider Seiten.
Rz. 1516
Im Jahr 2011 hat der EGMR klargestellt (Fall "Heinisch"), dass Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in ihren Unternehmen offenzulegen, dem Geltungsbereich des Art. 10 EMRK unterliegen und mittels der Strafanzeige vom Recht auf freie Meinungsäußerung i.S. des Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK Gebrauch gemacht wird. In erster Linie gebiete die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers, zunächst eine interne Klärung zu versuchen, um dann als ultima ratio die Öffentlichkeit zu informieren. Darüber hinaus habe jede Person, die Informationen offenlegen wolle, sorgfältig zu prüfen, ob die Information zutreffend und zuverlässig sei. Auf der anderen Seite sei auch der Schaden von Bedeutung, der dem Arbeitgeber durch die in Rede stehende Veröffentlichung entstanden sei. Wesentlich sei außerdem, ob die Person die Offenlegung in gutem Glauben und in der Überzeugung vorgenommen hat, dass die Information wahr sei, dass sie im öffentlichen Interesse liege und dass keine anderen, diskreteren Mittel existierten, um gegen den angeprangerten Missstand vorzugehen.
Rz. 1517
Ausgehend von der Entscheidung des EGMR sowie der fortgesetzten öffentlichen Wahrnehmung des Whistleblowers Edward Snowden setzte der deutsche Gesetzgeber mehrfach dazu an, Fälle des externen Whistleblowings gesetzlich zu regeln. Ziel sollte sein, einen Rahmen zu schaffen für Hinweise von Beschäftigten über innerbetriebliche Missstände. Dabei sollten Benachteiligungen von Hinweisgebern verhindert und Rechte des Arbeitgebers gewahrt werden (Schadensersatzpflicht bei leichtfertig falschem Hinweis).
Sämtliche Vorstöße zur Schaffung einer umfassenden Regelung scheiterten auf politischer Ebene. Eine erste ausdrückliche Regelung fand sich erst mit Einführung des Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) am 26.4.2019 in § 5 Nr. 2 nach mühsam kontrovers geführten Verhandlungen. Hiernach ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses erlaubt, wenn dies zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens erfolgt, wenn die zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu...