Prof. Dr. iur. Uwe Dathe, ... Einhaus
Rz. 569
Mit Wirkung zum 1.1.1989 hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988 in § 74 SGB V die Regelung zur stufenweisen Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer implementiert. Diese in das gesetzliche Krankenversicherungsrecht integrierte Norm lässt jedoch eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Fragen, die sich bei der Wiedereingliederung von Arbeitnehmern bei längerer Erkrankung stellen, ungeklärt. § 74 SGB V regelt lediglich, dass über die stufenweise Rückführung arbeitsunfähiger gesetzlich versicherter Arbeitnehmer in den Arbeitsprozess eine ärztliche Bescheinigung ausgestellt werden soll, aus der sich die Art und der Umfang der möglichen Tätigkeiten ergeben, sofern zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer durch eine stufenweise Wiederaufnahme seiner Tätigkeit voraussichtlich wieder besser in das Erwerbsleben integriert werden kann. § 74 SGB V beschreibt demnach nur das auch als "Hamburger Modell" bekannte Eingliederungsmodell, nach dem die stufenweise Wiederaufnahme der Arbeit durch den Arzt festgestellt wird und in einer entsprechenden Bescheinigung zu vermerken ist. Die Frage, ob und wie derartige Wiedereingliederungsmaßnahmen arbeitsrechtlich umgesetzt werden sollen, regelt § 74 SGB V indes nicht. Diese Frage stellt sich im Übrigen auch nicht nur bei gesetzlich Versicherten, sondern auch bei anderen abhängig beschäftigten Arbeitnehmern, die längere Zeit arbeitsunfähig waren.
Der Abschluss einer Wiedereingliederungsvereinbarung kommt nur in den Zeiten in Betracht, in denen der Arbeitnehmer noch krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt an der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gehindert ist. Jede krankheitsbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, die den Arbeitnehmer an der Erbringung der arbeitsvertraglichen Pflichten hindert, führt dazu, dass er zur Erfüllung der Vertragspflichten nicht in der Lage ist und daher als arbeitsunfähig gilt, selbst wenn er einen Teil der geschuldeten Arbeitsleistung noch erbringen könnte. Eine Teilarbeitsunfähigkeit gibt es nach herrschender Meinung nicht. Der Abschluss der Wiedereingliederungsvereinbarung führt nicht zu der Annahme, dass die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers wieder hergestellt ist.
Nach der von der Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung ist das zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarte Vertragsverhältnis zur Wiedereingliederung keine Änderung des bestehenden Arbeitsverhältnisses, sondern ein Rechtsverhältnis eigener Art im Sinne des § 311 Abs. 1 BGB. Dies wird u.a. mit dem Wortlaut des § 74 SGB V, der nicht von der "Wiederaufnahme" der bisherigen Tätigkeit spricht, begründet und im Übrigen auch damit, dass der Arbeitnehmer wegen der andauernden Arbeitsunfähigkeit während der Laufzeit der Wiedereingliederungsmaßnahme gerade nicht zur Erbringung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung in der Lage ist. Im Vordergrund der Beschäftigung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Wiedereingliederung steht die Rehabilitation des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Arbeitsvertragliche Verpflichtungen des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung im üblichen Sinne werden nicht begründet. Die Beschäftigung im Rahmen des Wiedereingliederungsverhältnisses stellt gegenüber der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsverpflichtung ein aliud dar. Dem Arbeitnehmer soll Gelegenheit gegeben werden, auf dem Wege einer im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung quantitativ und/oder qualitativ verringerten Tätigkeit seine Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen. Die aus dem zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis folgenden Hauptleistungspflichten ruhen daher weiterhin während der Dauer der Wiedereingliederungsmaßnahme.
Zu unterscheiden ist das Wiedereingliederungsverhältnis von einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über eine Verkürzung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit oder über einen veränderten Vertragsgegenstand durch eine Änderungsvereinbarung. Im Gegensatz zu einem Wiedereingliederungsverhältnis wird hier vorausgesetzt, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig und daher zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung im Stande ist, auch wenn sie durch die Änderungsvereinbarung qualitativ oder quantitativ verringert wird. Streben die Parteien den Abschluss einer solchen arbeitsvertraglichen Änderungsvereinbarung an, ist dies ausdrücklich in der Vereinbarung klarzustellen.
Das nachfolgende Vertragsmuster setzt voraus, dass der Arbeitnehmer während der Laufzeit und dem Vollzug des Vertrages noch als arbeitsunfähig anzusehen ist.