Dr. Katja Francke, Dr. Norma Studt
Rz. 686
Zur Bestimmung des Bedarfs an zusätzlichen Versicherungen für den entsandten Arbeitnehmer ist vor allem entscheidend, ob für die Dauer des Auslandseinsatzes der Arbeitnehmer in die deutsche Sozialversicherung einbezogen bleibt oder nicht. Grds. gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und -berechtigung in der deutschen Sozialversicherung aufgrund des Territorialitätsprinzips dem Grundsatz nach nur für im Inland beschäftigte Personen. Besteht wie bei einer Entsendung eines Arbeitnehmers in das Ausland ein Sachverhalt mit Auslandsberührung, so ist zunächst zu klären, nach welcher Rechtsordnung sich die Fragen der Sozialversicherungspflicht und -berechtigung richten. Hier ist zu differenzieren zwischen
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Entsendungen von Deutschland in einen Staat innerhalb der EU bzw. des EWR; |
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Entsendungen von Deutschland in einen Staat, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht; und |
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Entsendungen von Deutschland in Staaten außerhalb der EU bzw. des EWR, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht. |
Je nach Fallgestaltung gelten für die Bestimmung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts verschiedene Kollisionsregeln.
Rz. 687
Für Entsendungen in einen anderen EU-Mitgliedstaat gilt seit dem 1.5.2010 die VO (EG) Nr. 883/2004 sowie die hierzu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/09. Bei Entsendungen nach Norwegen, Island oder Liechtenstein ist weiterhin die VO (EWG) 1408/71 maßgeblich. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 31.1.2020 und Ablauf des Übergangszeitraums laut Austrittsvertrag gelten gemäß dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit Regelungen, die im Wesentlichen denen der Verordnungen Nr. 883/04/EG und 987/09/EG entsprechen.
Rz. 688
Grds. gilt nach der VO (EG) 883/2004 und der VO (EWG) 1408/71, dass ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt wird und Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, den Rechtsvorschriften zur Sozialversicherung in dem Tätigkeitsstaat unterliegt. Im Fall einer Entsendung eines Arbeitnehmers aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat ist die Anwendung der deutschen Sozialversicherungsregelungen nur ausnahmsweise möglich, wenn
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der Arbeitnehmer einem Unternehmen mit Sitz im Inland gewöhnlich angehört; |
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der Arbeitnehmer von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird; und |
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der Arbeitnehmer nicht eine Person ablöst, für die die Entsendungszeit abgelaufen ist. |
Rz. 689
Bei Entsendungen in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist dies nach der VO (EG) 883/2004 für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten möglich (Art. 12 Abs. 1). Bei Entsendungen in Staaten des EWR, die nicht der EU angehören und die Schweiz, ist das Verfahren nach VO (EWG) 1408/71 zu beachten, nach der eine Beibehaltung der inländischen Sozialversicherung bei einer voraussichtlichen Dauer der Entsendung von bis zu zwölf Monaten möglich ist.
Rz. 690
Zum Nachweis der inländischen Sozialversicherung dient die sog. Bescheinigung A1 (früher E 101). Mit dieser Bescheinigung wird bestätigt, dass ausnahmsweise nicht das Beschäftigungsstaatsprinzip gilt, sondern ein anderer Mitgliedstaat für den Bereich der sozialen Sicherheit zuständig ist. Die A1-Bescheinigung dokumentiert und belegt, dass der Arbeitnehmer bereits im Entsendestaat sozialversichert ist, und gehört damit zu den sozialrechtlichen Arbeitspapieren. Sie ist grundsätzlich ("wann immer möglich") bei jeder Erwerbstätigkeit im EU-Ausland, den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie der Schweiz vor Beginn der Tätigkeit zu beantragen und kann bei Kontrollen von den zuständigen Behörden verlangt werden. Die Bescheinigung A1 gilt grundsätzlich für die Dauer des Einsatzes im Ausland, maximal jedoch für den Zeitraum von 24 Monaten. Der Arbeitgeber beantragt die Bescheinigung A1 auf elektronischem Weg für seine Beschäftigten (§ 106 SGB IV). Auf diesem Wege wird der Antrag an den zuständigen Sozialversicherungsträger übermittelt. Liegen die Voraussetzungen für die Bescheinigung A1 vor, wird sie online zugestellt.
Rz. 691
Hinsichtlich der Bestimmung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts sind alle Zweige der Sozialversicherung einheitlich zu beurteilen. Es kann somit hinsichtlich aller Bereiche der Sozialversicherung nur jeweils das Recht eines Staats zur Anwendung kommen.
Rz. 692
Bei vorübergehenden Entsendungen von Mitarbeitern in Staaten außerhalb der EU/des EWR mit denen die Bundesrepublik Deutschland Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, bestimmt sich das anzuwendende Sozialversicherungsrecht nach dem jeweiligen bilateralen Sozialversicherungsabkommen. Die einzelnen bilateralen Sozialversicherungsabkommen unterscheiden sich in ihrem Regelungsinhalt zum Teil erheblich. Regelmäßig werden bestimmte zeitliche Grenzen vorgesehen, bis zu denen es bei einer vorübergehenden Entsendung bei der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften zur sozialen Sicher...