Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
a) Sinn und Zweck des § 17 MuSchG
Rz. 172
Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz soll der werdenden Mutter und der Wöchnerin trotz ihrer etwa mutterschaftsbedingten Leistungsminderung oder Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz als wirtschaftliche Existenzgrundlage erhalten. Neben diesen wirtschaftlichen Schutzbelangen der Arbeitnehmerin soll diese zugleich vor den psychischen Belastungen eines Kündigungsschutzprozesses geschützt werden; der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz hat also eine Doppelfunktion.
b) Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes
Rz. 173
Nach § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG genießen Schwangere und Wöchnerinnen unabhängig von der Betriebsgröße Sonderkündigungsschutz. Danach ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft, bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und bis zum Ende ihrer Schutzfrist, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Dabei reicht auch die Mitteilung über eine nur vermutete Schwangerschaft aus, um den Sonderkündigungsschutz auszulösen. Eine bloße Vermutung des Arbeitgebers genügt nicht, auch umlaufenden "Gerüchten" braucht er nicht nachzugehen. Eine Erkundigungspflicht kann sich ausnahmsweise bei vorhandener, aber inhaltlich nicht genügend eindeutiger eigener Wahrnehmung des Arbeitgebers ergeben, z.B auf Grund Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Hinweisen auf die Schwangerschaft. Im Falle der künstlichen Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation besteht der Sonderkündigungsschutz bereits ab der Einsetzung der befruchteten Eizelle (Embryonentransfer) und nicht erst ab erfolgreicher Einnistung (Nidation). Das Überschreiten der Zwei-Wochen-Frist ist jedoch unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Nach der Rechtsprechung des BAG stellt es beispielsweise keinen von der Schwangeren zu vertretenden Grund dar, wenn sie ihre Bescheinigung über die Schwangerschaft mit normaler Post an den Arbeitgeber versendet und der Brief dann aus ungeklärter Ursache verloren geht; mit einem Verlust des Briefes auf dem Beförderungswege muss die Schwangere nicht von vornherein rechnen. Eine Mitteilung nach § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG liegt auch vor, wenn sie dem Arbeitgeber von einem Arbeitskollegen der Schwangeren als Erklärungsbotin übermittelt wird. Hingegen ist das Überschreiten der Frist des § 17 Abs. 1 MuSchG von der Schwangeren zu vertreten, wenn es auf einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist (Verschulden gegen sich selbst). Gemäß § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG erfasst das Kündigungsverbot auch alle Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers im Hinblick auf die Kündigung. Hierzu könnte z.B. die Anhörung des Betriebsrats oder der Schwerbehindertenvertretung oder die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes gehören.
Rz. 174
Das Kündigungsverbot gilt für außerordentliche und ordentliche Beendigungskündigungen sowie für Änderungskündigungen im Sinne von § 2 KSchG, da auch bei letzterer, je nach Reaktion der Arbeitnehmerin, die Möglichkeit besteht, dass die Änderungskündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Es gilt auch bei Massenentlassungen und Betriebsstilllegungen sowie für die Kündigung durch den Insolvenzverwalter, da § 113 InsO neben einer Regelung zu Kündigungsfristen nur vertraglich vereinbarte Kündigungsbeschränkungen zugunsten des Insolvenzverwalters aufhebt, nicht jedoch ein gesetzliches Kündigungsverbot wie das in § 17 MuSchG; dieses ist insolvenzfest. Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gem. § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG gilt auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme.
Rz. 175
Das Kündigungsverbot gilt allerdings nur für Kündigungen und nicht für sonstige Beendigungstatbestände, etwa den Abschluss eines Aufhebungsvertrags, eine Befristung, den Eintritt einer auflösenden Bedingung oder eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 119 ff. BGB. Das Kündigungsverbot gilt daher nicht für Versetzungen, Freistellungen oder suspendierende Aussperrungen. Hingegen setzt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 KSchG voraus, dass die Kündigung nur gegen das KSchG verstößt, so dass ein Auflösungsantrag nur in Betracht kommt, wenn die streitbefangene Kündigung vor der Schwangerschaft oder vor der Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft erklärt wurde. Der Auflösungsantrag der Arbeitnehmerin ist demgegenüber auch bei Verstoß gegen § 17 ...