Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 315
Bei Entlassung mehrerer Arbeitnehmer können die für eine Massenentlassung gem. §§ 17 ff. KSchG relevanten Voraussetzungen erfüllt sein, so dass es der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bedarf. Bei der Berechnung des Schwellenwertes des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG stehen Aufhebungsverträge als "andere Beendigungen" i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG Entlassungen jedenfalls dann gleich, wenn die Aufhebung erfolgt, weil andernfalls das Arbeitsverhältnis durch Arbeitgeberkündigung aufgelöst worden wäre. Eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG kann daher auch dann notwendig werden, wenn es im Rahmen eines Personalabbaus nur zu wenigen oder keinen (betriebsbedingten) Kündigungen kommt und die Arbeitsverhältnisse im Übrigen durch Aufhebungsverträge beendet werden.
Umstritten ist, ob auch sog. dreiseitige Verträge von § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG erfasst werden. Sie enthalten zwar ein Beendigungselement, sind aber der Sache nach auf die Überleitung in ein anderes Arbeitsverhältnis und damit auf eine "nahtlose" Weiter- bzw. Anschlussbeschäftigung – wenn auch mit einem anderen Arbeitgeber – gerichtet. Diskutiert wird diese Frage vor allem für den Fall eines dreiseitigen Vertrages, der die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses und den Übergang der Arbeitnehmer in eine eigenständige Einheit im Sinne des § 111 Abs. 3 SGB III (Transfergesellschaft) vorsieht. Das BAG hat sich zu dieser Frage noch nicht abschließend positioniert. Teils wird in der Literatur unter Hinweis darauf, dass in einem solchen Fall eine Belastung des Arbeitsmarktes (noch) nicht eintrete, eine Beendigung i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG in einem solchen Fall kategorisch verneint. Hinter dieser Ansicht steht die normzweckorientierte Überlegung, dass die Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt mangels tatsächlicher Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht belasten und auch keine Beratungs- und Vermittlungsleistung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen. Damit korrespondiert, dass die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur eine Anzeigepflicht verneint, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (mithin nicht arbeitssuchend wird). Die weit überwiegende Ansicht in der Literatur bejaht indes auch beim (vorübergehenden) Wechsel in eine Transfergesellschaft in Folge einer dreiseitigen Vereinbarung eine Beendigung i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG, u.a. unter Verweis auf den Wortlaut der Norm und mit dem Argument, dass die Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt beim Übergang in eine Transfergesellschaft zumindest absehbar belasten werden.
Rz. 316
Die Erstattung der Massenentlassungsanzeige hat gem. § 18 KSchG einen Monat vor der Entlassung zu erfolgen. Das BAG hatte § 18 KSchG in der Vergangenheit stets dahingehend interpretiert, dass die beabsichtigten Entlassungen mindestens einen Monat vor dem Ausscheiden der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen waren. Nach der so genannten Junk-Entscheidung des EuGH sind die den §§ 17 ff. KSchG zugrunde liegenden Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG indes dahingehend auszulegen, dass die Massenentlassungsanzeige mindestens einen Monat vor dem Ausspruch der Kündigung bzw. dem Abschluss des Aufhebungsvertrages zu erstatten ist.
Rz. 317
Dieser Interpretation hat sich das BAG zwischenzeitlich angeschlossen. Unter Entlassung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG ist der Ausspruch der Kündigung bzw. der Abschluss des Aufhebungsvertrages zu verstehen. Sofern das BAG zunächst in begrenztem Umfang Vertrauensschutz gewährte, kann sich ein Arbeitgeber wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs heute nicht mehr darauf berufen.