Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 345
Die Willenserklärungen, die auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerichtet sind, sind nach den allgemeinen Regeln der §§ 119 ff. BGB anfechtbar. Das Bestehen von Sonderkündigungsschutz führt nicht zur Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrages. Eine Irrtumsanfechtung wegen Unkenntnis einer Schwangerschaft bzw. deren mutterschutzrechtlicher Folgen ist nicht möglich. Gleiches gilt für die Schwerbehinderteneigenschaft.
Rz. 346
Die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber widerrechtlich ein künftiges Übel angekündigt wurde, das den Arbeitnehmer in eine Zwangslage versetzt hat. Kam der Aufhebungsvertrag aufgrund der Drohung des Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung zustande, ist eine Anfechtung dann nicht möglich, wenn ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte; dabei ist nicht erforderlich, dass sich die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Die für die angedrohte Entlassung herangezogenen Pflichtverletzungen müssen lediglich im Grundsatz geeignet sein, einen Kündigungsgrund abzugeben. Maßgeblich ist der objektiv mögliche hypothetische Wissensstand des Arbeitgebers, der verantwortliche Ermittlungen angestellt hätte. Nicht maßgeblich ist der tatsächliche subjektive Wissensstand des konkreten Arbeitgebers. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Straftat bewiesen werden kann. Der Arbeitgeber darf aber durchaus eine Strafanzeige in Erwägung ziehen und diese dem Arbeitnehmer ankündigen sowie eine außerordentliche Kündigung androhen, wenn eine Straftat konkret das Arbeitsverhältnis berührt; eine wirksame Anfechtung ist in diesem Fall nicht möglich. Dem Arbeitnehmer ist es – wenn er zu Unrecht verdächtigt werden sollte – zumutbar, diesem Druck standzuhalten.
Rz. 347
Widerrechtlich kann die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung sein, wenn ein vernünftiger Arbeitgeber aufgrund der Umstände davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde einer arbeitsgerichtlichen Nachprüfung wegen Versäumung der Ausschlussfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB nicht standhalten. Gleiches gilt, wenn eine erforderliche Abmahnung oder – bei angedrohter Verdachtskündigung – die hierfür erforderliche Aufklärung fehlt. Droht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit einer fristlosen Kündigung, die ein verständiger Arbeitgeber nicht in Betracht gezogen hätte, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu veranlassen, wird die Widerrechtlichkeit der Drohung nicht durch eine dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eingeräumte Bedenkzeit beseitigt. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ändert eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenkzeit auch nichts an der Ursächlichkeit der Drohung für den späteren Abschluss des Aufhebungsvertrags. Für eine von der Drohung nicht mehr maßgeblich beeinflusste Willensbildung spricht jedoch, dass der Anfechtende die Bedenkzeit dazu genutzt hat, die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung durch aktives Verhandeln – z.B. neue eigene Angebote – erheblich zu seinen Gunsten zu beeinflussen, insbesondere wenn er selbst rechtskundig ist oder zuvor Rechtsrat eingeholt hat bzw. aufgrund der Dauer der eingeräumten Bedenkzeit hätte einholen können. Die (abgestufte) Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen des Anfechtungstatbestandes, d.h. für alle Tatsachen, die die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen, trägt der die Anfechtung erklärende Arbeitnehmer.
Rz. 348
Eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung durch Unterlassung i.S.d. § 123 BGB begeht, wer bei den Vertragsverhandlungen einen Umstand verschweigt, hinsichtlich dessen ihn gegenüber seinem Vertragspartner eine Aufklärungspflicht trifft (zum Bestehen einer Aufklärungspflicht vgl. Rdn 329).
Rz. 349
Im Rahmen einer entsprechenden Anfechtung ist die hierfür geltende Jahresfrist gem. § 124 Abs. 1 BGB zu beachten. Im Falle der Erklärung einer Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung läuft diese Frist gem. § 124 Abs. 2 Hs. 2 BGB ab Beendigung der Zwangslage, d.h. i.d.R. ab Abschluss des Aufhebungsvertrages. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind (§ 124 Abs. 3 BGB).
Rz. 350
Darüber hinaus ist die Anfechtung bei Bestätigung des Rechtsgeschäfts gem. § 144 BGB ausgeschlossen. Eine solche Bestätigung kann auch konkludent erfolgen. Jedoch muss das Verhalten des Anfechtungsberechtigten den eindeutigen Willen offenbaren, trotz der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festhalten zu wollen; jede andere den Umständen nach einigermaßen verständliche Deutung muss ausgeschlossen sein. Hierzu reicht i.d.R. nicht aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Abschluss eines anfechtbaren Aufhebungsvertrages weniger Arbeit zuweist und der Arbeitnehmer es unterlässt, mehr Arbeit zu verlangen.