Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 113
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die vorgesehene Änderung der Arbeitsbedingungen Prüfungsgegenstand der sozialen Rechtfertigung. An ihre Rechtswirksamkeit sind strengere Voraussetzungen zu stellen als an die einer Beendigungskündigung. Der Gesetzgeber stellt im gesamten Zivilrecht sehr hohe Anforderungen an die einseitige Änderung von Verträgen. § 313 Abs. 1 BGB verlangt eine schwerwiegende, nicht voraussehbare Änderung der dem Vertragsschluss zugrunde liegenden Umstände. Die Möglichkeit der Änderungskündigung erweitert daher die Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich von eingegangenen Verpflichtungen zu lösen, deutlich. Das BAG wendet in ständiger Rechtsprechung ein zweistufiges Prüfungsverfahren an:
Rz. 114
In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der die Kündigung sozial rechtfertigt, § 2 S. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 KSchG (das "Ob" der Änderungskündigung). Bei der betriebsbedingten Änderungskündigung ist danach zu fragen, ob dringende betriebliche Erfordernisse vorhanden sind, die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingungen entgegenstehen. Der Maßstab der sozialen Rechtfertigung unterscheidet sich insoweit nicht von dem einer Beendigungskündigung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat.
Rz. 115
Entscheidend ist also insoweit, ob der Arbeitgeber eine konzeptionelle Unternehmerentscheidung getroffen hat, die aufgrund einer veränderten Organisationsstruktur eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingungen unmöglich macht. Eine solche Unternehmerentscheidung ist, wie bei der betriebsbedingten Beendigungskündigung, keiner umfassenden gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Vielmehr darf das Arbeitsgericht nur untersuchen, ob die Entscheidung offenbar unvernünftig, unsachlich oder willkürlich ist.
Rz. 116
Eine Fallgruppe der betriebsbedingten Änderungskündigung betrifft Änderungen des Arbeitsorts oder der Arbeitszeit. Von der Rechtsprechung wurde z.B. die Herab- oder Heraufsetzung der Arbeitszeit, die Umwandlung von zwei Halbtagsstellen in eine Ganztagsstelle, die Umstellung von einem Einschicht- auf einen Mehrschichtbetrieb oder auch die Schließung eines Standortes als grundsätzlich hinzunehmende unternehmerische Entscheidung eingestuft. Auch Änderungen der bisherigen Tätigkeit können Gegenstand einer betriebsbedingten Änderungskündigung sein. Beispiele aus der Rechtsprechung sind Veränderungen des Verkaufskonzepts, die Auslagerung von Aufgaben oder eine Entschlackung der Organisation durch die Abschaffung von Führungsebenen.
Zumindest in den Fällen der sog. Tarifautomatik oder bei Existenz einer vom Arbeitgeber aufgestellten (kollektiven) Vergütungsordnung kann i.d.R. zugleich die Vergütung angepasst werden.
Rz. 117
Theoretisch erreichbar ist auch eine isolierte Reduzierung des Entgelts. Die Rechtsprechung differenziert dabei zwischen der generellen Entgeltreduzierung und dem Streichen von geldwerten Nebenabreden. Für generelle Entgeltabsenkungen im Rahmen der gesetzlichen oder tarifvertraglichen Schranken stellt das BAG an die Rechtfertigung der entsprechenden Unternehmerentscheidung besonders hohe Anforderungen. Es muss eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Betriebs vorliegen und aufgrund eines Sanierungskonzepts nachvollziehbar dargelegt werden, dass die Entgeltabsenkung das letzte Mittel zur Rettung des Betriebs ist oder so Massenentlassungen vermieden werden können. Das gilt bei allen Arten von Entgeltabsenkungen, also auch bei Änderungen von einzelvertraglichen Eingruppierungen bzw. bei Massenkündigungen. Der Kündigungsgrund für eine bestimmte individuelle Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung entfällt nicht deshalb, weil bereits 97 % der Belegschaft das Änderungsangebot angenommen haben und dadurch das Sanierungsziel hinlänglich erreicht ist. Für den Fall, dass aufgrund einer nachträglichen Tarifbindung des Arbeitgebers ein unterschiedliches Lohnniveau im Betrieb entsteht, kommt nach BAG eine Änderungskündigung nur in Betracht, wenn zum Ziel der Beseitigung der Ungleichheit zusätzlich ein betrieblicher Anlass zur Veränderung des Entgelts besteht.
Rz. 118
Anderes gilt für die Streichung geldwerter Nebenabreden. Das BAG versteht darunter vertragliche Bestimmungen, die an Umstände anknüpfen, die erkennbar nicht während der ganzen Dauer des Vertragsverhältnisses Bestand haben müssen. Insoweit ist von einer vernünftigen Unternehmerentscheidung auszugehen, wenn der Unternehmer sachliche Gründe, z.B. veränderte tatsächliche Umstände für den Wegfall der Zusage, vorträgt. Gestrichen werden können danach etwa die Einrichtung eines kostenlosen Werksbusverkehrs oder Miet- oder Fahrtkostenzuschüsse.
Rz. 119
Schließlich ist im Rahmen der Änderungskündigung in einem zweiten Schritt immer zu prüfen, ob das Änderungsangebot einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhä...