Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 246
Arbeitszeugnisse stellen wichtige Bewerbungsunterlagen dar, die dem neuen Arbeitgeber Auskunft über die Erfahrung und Leistung des Arbeitnehmers geben sollen und für das berufliche Weiterkommen des Arbeitnehmers entscheidend sind. Aus dieser Bedeutung ergibt sich für den ausstellenden Arbeitgeber die Pflicht und zugleich Schwierigkeit, gleichsam zwei Herren zu dienen: Gegenüber dem künftigen Arbeitgeber ist er zur Wahrheit, gegenüber seinem Arbeitnehmer zum verständigen Wohlwollen verpflichtet, um dessen berufliches Fortkommen nicht unnötig zu erschweren.
Rz. 247
Das Wahrheitsgebot verpflichtet den Arbeitgeber, auf die Formulierung von Vermutungen, Behauptungen und Verdachtsmomenten zu verzichten und mit möglichst großer Objektivität ein den Geboten der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit entsprechendes Dokument zu erstellen, das zukünftigen Arbeitgebern eine konkrete Vorstellung über die Einsetzbarkeit des Bewerbers und dessen persönliche Eignung vermittelt. Dies bedeutet auch, dass sich das Zeugnis auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses erstrecken muss. Unrichtige Angaben können zu einer Schadensersatzpflicht des früheren Arbeitgebers gegenüber dem neuen Arbeitgeber führen.
Rz. 248
Das Prinzip des Wohlwollens gebietet dem Arbeitgeber, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers durch die Formulierung des Zeugnisses nicht unnötig zu erschweren. Entgegen vereinzelter untergerichtlicher Entscheidungen besteht auch aus dem Wohlwollensprinzip heraus kein Anspruch des Arbeitnehmers auf die Erteilung einer Schlussformel im Zeugnis, in der der Arbeitgeber Dank für die geleisteten Dienste oder gute Wünsche für die Zukunft erklärt.
Rz. 249
Da beide Prinzipien zu berücksichtigen sind, fordert der Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung nicht, dass ungünstige Tatsachen ausgelassen werden müssen. Vielmehr sind sie wegen des Wahrheitsgebots aufzunehmen, wenn und soweit sie charakteristisch für den Arbeitnehmer sind. Das Zeugnis darf allerdings nicht unnötig schonungslos sein. Das Interesse des Arbeitnehmers an einer wohlwollenden Beurteilung findet aber dort seine Grenze, wo das Interesse des künftigen Arbeitgebers an der Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers deutlich überwiegt. Die Zeugniswahrheit gilt als oberster Grundsatz des Zeugnisrechts. Die Verwendung jeglicher Codes (etwa die Verwendung bestimmter Zeichen, Stempel, Farben usw.) ist untersagt. Eine bestimmte Wortwahl indes ist kein Code. So verstößt beispielsweise die Formulierung: "Wir haben Herrn K. als sehr interessierten und hochmotivierten Mitarbeiter kennen gelernt", nicht gegen die Gebote der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit.
Rz. 250
Einen Anspruch auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses haben alle Arbeitnehmer. Bis zum 1.1.2002 ergab sich der Anspruch für Arbeitnehmer wie für freie Dienstverhältnisse aus § 630 BGB, nach dessen zu diesem Zeitpunkt neu eingeführtem S. 4 gilt aber für Arbeitnehmer seither § 109 GewO. Dazu gehören auch Teilzeitbeschäftigte, leitende Angestellte, Einfirmenvertreter nach § 92a HGB sowie Arbeitnehmer in einem Probe- oder Aushilfearbeitsverhältnis. Für Organmitglieder kommt weiterhin § 630 BGB zur Anwendung. Der Zeugnisanspruch von Auszubildenden ist in § 16 BBiG geregelt, dessen Abs. 2 mit Rücksicht auf die Unterschiede zwischen einem Arbeits- und einem Ausbildungsverhältnisse speziellere Regelungen zum Zeugnisinhalt enthält; die wesentlichen Grundprinzipien des Zeugnisrechts gelten aber auch insoweit. Die Norm findet auch auf Praktikanten und Volontäre Anwendung, § 26 BBiG. Umschüler haben hingegen einen Zeugnisanspruch nach § 630 BGB. Der Anspruch eines Leiharbeitnehmers richtet sich allein gegen den Verleiher. Bei arbeitnehmerähnlichen Personen ergibt sich der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis aus § 630 BGB. Selbstständige Dienstverpflichtete, die weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig sind, haben indes keinen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis, da sie für ihr berufliches Fortkommen kein Zeugnis benötigen.
Rz. 251
Fällig wird der Anspruch auf ein Zeugnis gemäß §§ 109 GewO, 630 BGB und 16 Abs. 1 BBiG "bei Beendigung" des Arbeitsverhältnisses, wobei ausreicht, dass die Beendigung absehbar ist, also beispielsweise eine Kündigung bereits ausgesprochen wurde, ohne dass die Kündigungsfrist bereits abgelaufen ist, oder ein Aufhebungsvertrag unterzeichnet ist, auch wenn der Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch einige Zeit in der Zukunft liegen mag, denn das Zeugnis bezweckt u.a. die Unterstützung von Bewerbungsbemühungen. Im Falle der außerordentlichen Kündigung ist der Anspruch auf Zeugniserteilung sofort fällig, unabhängig davon, wer gekündigt hat. Der Arbeitnehmer muss das Zeugnis verlangen. Der Arbeitgeber hat nur dann die gewünschte Art von Zeugnis zu erstellen, wenn der Arbeitnehmer sein Wahlrecht zwischen einem qualifizierten und einem einfachen Zeugnis ausübt. Eine Ausnahme gilt gemäß §§ 16, 26 BBiG für Auszubildende, Praktikanten ...