Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 356
Ein Aufhebungsvertrag kann nach neuerer Rspr. des BAG unwirksam sein, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Die Grundlage dieses Gebots wird in einer durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründeten Nebenpflicht i.S.d. § 311Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB gesehen. Die Rspr. will durch das Gebot des fairen Verhandelns der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, z.B. weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, begegnen. Indes hätte es dazu m.E. nicht der Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes bedurft; vielmehr hätte die konsequente Anwendung der vorhandenen rechtlichen Instrumentarien ausgereicht.
Rz. 357
Als unfair bewertet das BAG eine Verhandlungssituation dann, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen oder durch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse geschehen. Dabei geht es nicht um das Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation. § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern nur zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite, in dem er unfaire Verhandlungen missbilligt. Dabei schützt das Gebot fairen Verhandelns nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss. § 138 BGB und § 242 Abs. 2 BGB stehen daher selbstständig nebeneinander. Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu messen und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen. Gegen das Gebot des fairen Verhandelns wird nicht allein dadurch verstoßen, dass
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Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag während einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt werden; |
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der einen Auflösungsvertrag anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt; |
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der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht und dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch er erbetenen Rechtsrat einholen kann; |
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die Unterbreitung eines Aufhebungsvertrags ohne vorherige Ankündigung erfolgt; allein hierin liegt noch keine unfaire Überrumpelung; |
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die Möglichkeit, zum Gespräch über den Aufhebungsvertrag einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, nicht eröffnet wird; |
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der Arbeitgeber zu den Vertragsverhandlungen einen Rechtsanwalt hinzuzieht und einen Aufhebungsvertrag vorlegt, der nur sofort abgeschlossen werden kann, und dies mit der (im Streitfall nicht widerrechtlichen) Drohung verbindet, er werde eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten; |
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am Verhalten des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber Kritik geübt wird und daraufhin Betroffenheit beim Arbeitnehmer eintritt. |
Gegen eine unfaire Verhandlungsführung spricht es, wenn sich die Verhandlungen über mehrere Wochen hinziehen, eine Überlegungsfrist von mehreren Tagen eingeräumt wird oder der Arbeitnehmer anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt.
Eine Verhandlungssituation ist ausnahmsweise erst dann unfair, wenn der Arbeitgeber die objektiv erkennbare körperliche oder psychische Schwäche oder unzureichende Sprachkenntnisse des Arbeitnehmers ausnutzt. Dabei ist der Arbeitgeber nicht gehalten, ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von sich aus besondere Vorkehrungen im Hinblick auf die freie Entscheidungsfähigkeit des Arbeitnehmers zu treffen und diesen z.B. nach einer etwaigen Medikamenteneinnahme zu befragen.
Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Kausalität dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrags trägt – unter Beachtung der Vermutung, dass ein Arbeitnehmer ohne die unfaire Behandlung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt und den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte – derjenige, der sich auf eine Verletzung des §§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 241 Abs. 2 BGB beruft.
Rz. 358
Der unfair behandelte Vertragspartner ist nach § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Der Schadensersatzanspruch soll damit unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrags und damit zur Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen führen. Damit könnte bis zur Grenze der dreijährigen Verjährungsfrist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden, was im diametralen Gegensatz zu den weitaus kürzeren und auf baldige Rechtssicherheit abzielenden Fristen der §§ 121, 124 BGB, § 4 KSchG und § 17 TzBfG stünde. Ob bei Wegfall des unfair zustande gekommenen Aufhebungsvertrags ein ...