Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 268
Auf dem schmalen Grad zwischen Wahrheitspflicht und Gebot des verständigen Wohlwollens haben sich schablonenhafte Redewendungen und Standardsätze eingebürgert, die in der Praxis einheitlich in eine Notenskala von "sehr gut" bis "ungenügend" übertragen werden. Dies hat es nötig gemacht, bei Zeugnissen stets "zwischen den Zeilen" zu lesen und auf Auslassungen, sog. "beredtes Schweigen", zu achten. Beim Erstellen eines Zeugnisses muss die nunmehr übliche "Zeugnissprache" daher besonders berücksichtigt werden. Es ist allerdings grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, das Zeugnis im Einzelnen zu verfassen. Die Formulierung und Ausdrucksweise stehen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Maßstab ist ein wohlwollender, verständiger Arbeitgeber. Dem Arbeitgeber steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Dies gilt insbesondere für die Formulierung von Werturteilen. Sie lässt sich nicht bis in die Einzelheiten regeln und vorschreiben. Solange das Zeugnis allgemein verständlich ist und nichts Falsches enthält, kann der AN daher keine abweichende Formulierung verlangen.
Folgende Standardformulierungen haben sich durchgesetzt:
Rz. 269
▓ Leistungsbeurteilung (sog. "Zufriedenheits-Katalog")
Er/Sie hat die ihm/ihr übertragenen Aufgaben
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stets zu unserer vollsten Zufriedenheit oder stets zu unserer außerordentlichen Zufriedenheit erledigt (= sehr gut). |
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stets zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt oder zu unserer vollsten Zufriedenheit (= gut). |
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zu unserer vollen Zufriedenheit oder stets zu unserer Zufriedenheit erledigt (= befriedigend). |
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zu unserer Zufriedenheit erledigt (oder mit seinen Leistungen waren wir zufrieden) (= ausreichend). |
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insgesamt (alternativ: im Großen und Ganzen) zu unserer Zufriedenheit erledigt (oder er hat unsere Erwartungen größtenteils erfüllt) (= mangelhaft). |
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hat sich bemüht, die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen/führte die Aufgaben mit großem Fleiß und Interesse durch (= ungenügend). |
Rz. 270
▓ Verhaltensbeurteilung
Sein/Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten/Mitarbeitern/Kunden/Geschäftspartnern war
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stets vorbildlich (= sehr gut) |
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vorbildlich (= gut) |
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stets einwandfrei (= befriedigend) |
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gab keinen Anlass zu Beanstandungen (= ausreichend) |
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insgesamt zufriedenstellend (= mangelhaft). |
Rz. 271
Auch bei Verwendung der Formulierung "vorbildlich" kann aber durch Vertauschen der Reihenfolge der Nennung von "Vorgesetzten/Mitarbeitern/Kunden" etwa zu "Mitarbeitern/Vorgesetzten/Kunden" die Benotung um eine Stufe herabgesetzt werden. Werden gar nur der Vorgesetzte oder nur die Kollegen genannt, dürfte die Bewertung als nur "ausreichend" anzusehen sein.
Rz. 272
Es ist gemäß § 109 Abs. 2 GewO besonders darauf zu achten, dass keine "Geheimzeichen" und kodierte Formulierungen Eingang in das Zeugnis finden. Die Verwendung aller Codes ist streng untersagt. Eine bestimmte Wortwahl ist noch kein Code in diesem Sinne, andernfalls wären bereits die vorgenannten Bewertungsformulierungen als Code zu interpretieren und damit unzulässig. Indes können z.B. auffällige Ironie und eine Verwendung von Wörtern außerhalb ihrer sprachlichen Bedeutung unzulässige Codes darstellen, ebenso wie beredtes Schweigen oder das auffällige Loben untergeordneter, anspruchsloser Tätigkeiten und deren Nennung an erster Stelle.